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Die 5. Welle zeigt sich jetzt auch in den Aargauer Spitälern – droht ein Winter wie letztes Jahr?

Seit Anfang November hat sich der 7-Tages-Durchschnitt der Covid-Neuinfektionen im Kanton Aargau mehr als verdoppelt. Anfang Monat meldete der Kanton im Schnitt täglich 150 neue Coronafälle. Inzwischen liegt der 7-Tages-Durchschnitt bei 397 neuen Fällen. Am Montag wurden 425 Neuansteckungen registriert – so viele wie noch nie in diesem Jahr. Am Dienstag wurde dieser Höchstwert mit 510 neuen Coronafällen bereits wieder überschritten. Die Kurve zeigt seit Mitte Oktober nur in eine Richtung: nach oben. Der R-Wert liegt bei 1,34. Das heisst, 100 Infizierte stecken 134 Personen an.

Bei den Hospitalisierungen schlägt sich der Anstieg der Fallzahlen jeweils verzögert nieder. Inzwischen zeigt sich die 5. Welle aber auch in den Spitälern. Am Dienstag waren 76 Covid-Patientinnen und Covid-Patienten im Spital. Vor zwei Wochen waren 41 Personen wegen Covid-19 hospitalisiert. Die Hospitalisierungen haben sich also fast verdoppelt.

Ende 2020 waren mehr als 200 Covid-Patienten hospitalisiert

Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle Ende 2020 wurden in den Aargauer Spitälern bis zu 223 Covid-Patientinnen und Covid-Patienten behandelt. Es gab Tage, da lagen mehr als 40 Personen wegen Covid-19 auf der Intensiv- oder Überwachungsstation.

Droht sich dieses Szenario – trotz Impfung – zu wiederholen? Und wo stehen wir aktuell im Vergleich zur zweiten Welle?

Die AZ hat den Herbst 2020 und 2021 ausgehend vom ersten Tag im Oktober mit mehr als 100 Neuansteckungen miteinander verglichen.

Die gute Nachricht: Obwohl der 7-Tages-Durchschnitt der Neuinfektionen inzwischen höher ist als letztes Jahr, liegen weniger Personen wegen Covid-19 im Spital. Die Zahl der Covid-Patientinnen nimmt aktuell auch weniger stark zu als während der zweiten Welle vor einem Jahr.

Aber der Reihe nach.

2020 war der 13. Oktober der erste Tag im Oktober, an dem der Kanton mehr als 100 neue Coronafälle meldete. Dieser Tag ist Ausgangspunkt der dunkelblauen Kurve, welche die Hospitalisierungen 2020 abbildet (siehe Grafik unten). An diesem Tag waren 20 Covid-Patientinnen und Covid-Patienten im Spital. 71 Tage später, am 22. Dezember 2020, wurden 223 Personen wegen Covid-19 im Spital behandelt.

Dieses Jahr meldete der Kanton am 27. Oktober zum ersten Mal 100 neue Coronafälle. Die orange Kurve 2021 beginnt an diesem Tag. In den Spitälern wurden am 27. Oktober 25 Covid-Patientinnen und Covid-Patienten behandelt. Seither sind 28 Tage vergangen. In diesen 28 Tagen ist die Zahl der Covid-Patienten im Spital von 25 auf 76 gestiegen. Sie hat sich also verdreifacht.

Zum Vergleich: 2020 hat sich die Zahl der Personen, die wegen Covid-19 im Spital waren, innerhalb von 28 Tagen von 20 auf 140 versiebenfacht.

Dank der Impfung landen weniger Leute im Spital

Dass im Moment trotz ähnlich hoher oder sogar höherer Fallzahlen weniger Covid-Patienten im Spital und auf der Intensivstation behandelt werden, liegt zu einem grossen Teil an der Impfung, die Ende letztes Jahr noch nicht verfügbar war. Zur Zeit sind im Kanton Aargau 75,45 Prozent der über 12-Jährigen mindestens einmal geimpft. Die Impfung trage einen «wesentlichen Beitrag» zur Verringerung der Hospitalisationen bei und schütze vor schweren Verläufen, teilt die Medienstelle des Kantonsspitals Aarau (KSA) auf Anfrage mit. Das zeigt sich auch daran, dass auf der Intensivstation des KSA im Moment keine und generell kaum geimpfte Patientinnen und Patienten wegen Covid-19 behandelt werden.

Verändert hat sich durch die Impfung auch der typische Coronapatient. «Zu Beginn der Pandemie waren die Patientinnen und Patienten älter und hatten mehr Vorerkrankungen als heute», so das KSA. In der dritten Welle im Frühling 2021 seien dann jüngere und tendenziell übergewichtige Personen wegen Covid-19 behandelt worden. Aktuell seien die Patientinnen und Patienten im Durchschnitt wieder leicht älter und nicht alle hätten Vorerkrankungen.

«Jetzt bremsen, wenn wir keine Notbremse vor Weihnachten wollen»

Wie sich die Zahl der Covid-Patienten entwickelt und ob auch in diesem Winter wieder so viele Menschen wegen Covid-19 eine Spitalbehandlung brauchen wie letztes Jahr, sei «sehr schwierig» vorherzusagen, so das KSA. «Schaut man jedoch ins nahe Ausland, so bereiten uns die beobachteten hohen Fallzahlen gewisse Sorgen».

Chef-Infektiologe Christoph Fux wird noch deutlicher. Er hält auf Anfrage fest, dass jetzt Zeit sei, um zu handeln. «Wenn wir nicht wie letztes Jahr vor Weihnachten die Notbremse ziehen wollen, müssen wir jetzt anfangen zu bremsen.»

Bremsen würde beispielsweise heissen, Kontakte zu reduzieren und in Innenräumen wieder konsequent eine Maske zu tragen. Es müsste laut Fux auch diskutiert werden, ob es bei der aktuellen Epidemie unter den 10- bis 20-Jährigen nicht fahrlässig sei, dank Getestet-Zertifikat ohne Immunität Discos und Bars zu besuchen.

Der Blick nach Deutschland und Österreich zeigt, was uns droht

Für den Infektiologen ist klar: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Intensivstationen wieder füllen.» Die Ansteckungsgefahr sei im Moment so hoch wie noch nie, weil die heutige Delta-Variante viel ansteckender ist. Deshalb sei es auch für alle Geimpften nun essenziell, den schwindenden Schutz vor leichten Infektionen sechs Monate nach der 2. Impfung durch den Booster zu ergänzen. Dies aus Solidarität mit den Ungeschützten – und aus Respekt vor dem Spitalpersonal, welchem einmal mehr kein unbeschwertes Weihnachtsfest vergönnt sei.

«In Deutschland und Österreich sehen wir, was uns auch in der Schweiz in ein paar Wochen droht, wenn wir so weiter machen», sagt Fux. «Es ist wie wenn man bei einer Tornadowarnung entspannt aus dem Fenster blicken und sagen würde: Es scheint ja noch die Sonne. Ich muss die Fenster jetzt noch nicht verbarrikadieren.»