
Steigende Sozialhilfequote: Ein GAU für die Aargauer Gemeinden – in zwei Jahren
Zuerst wird ihnen gekündigt, dann erhalten sie Arbeitslosengeld, im schlimmsten Fall werden sie ausgesteuert und beziehen ab 2022 Sozialhilfe. Wegen der Coronakrise und ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft, sei schweizweit mit einer Zunahme der Sozialfälle um 30 Prozent zu rechnen, die Quote würde von 3,2 Prozent (2018) auf 4 Prozent steigen.
Dieses düstere Szenario zeichnete die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) letzte Woche. Im Aargau haben Ende 2018 2,2 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Sozialhilfe bezogen, ein Wert unter dem Schweizerischen Durchschnitt.
Bei Nationalrätin und Sozialamtsvorsteherin von Aarburg, Martina Bircher, läuten ob dieser Aussichten dennoch die Alarmglocken. «Wir stehen vor einem Riesen-GAU für die Gemeinden», sagt sie. Denn: 2022 würden voraussichtlich nicht nur jene Menschen ausgesteuert, die jetzt wegen der Coronakrise arbeitslos werden oder schon geworden sind.
Hinzu kommen auch jene, die 2015 mit der Flüchtlingswelle in die Schweiz kamen und bis in zwei Jahren keines, oder ein zu kleines Einkommen haben. Nach sieben Jahren werden die entsprechenden Wohngemeinden für diese die Sozialhilfe übernehmen müssen.
Für Martina Bircher ein Horrorszenario. Als Grossrätin hat sie bereits 2017 Vorstösse eingereicht mit Fragen zu dieser Entwicklung, später auch mit dem Vorschlag, Anreize zu schaffen, um aus der Sozialhilfe heraus zu kommen. «Jetzt kommt es zu einem Doppeleffekt. Das ist finanziell untragbar», sagt Bircher.
Die Umsetzung ihrer Anliegen steht noch aus, das müsse sich jetzt ändern. «Der Grosse Rat hat in wirtschaftlich guten Zeiten diese Vorstösse zur Flexibilisierung der Sozialhilfe überwiesen, eine weise Entscheidung», sagt sie. Das werde den Gemeinden aber nur helfen, wenn «endlich der Regierungsrat handelt und eine Gesetzesvorlage ausarbeitet».
Mehr Leute bei der Caritas, Sozialhilfequote fehlt noch
Noch spüren die Gemeinden die Auswirkungen von Corona auf die Sozialhilfe nicht, wie die Präsidentin der Gemeindeammännervereinigung Renate Gautschy sagt. In den letzten Wochen sei es wegen des Lockdowns eher ruhig gewesen auf den Ämtern, konkrete Zahlen zu Zu- oder Abnahmen gibt es noch nicht. «Rein mathematisch gesehen wäre die Folge des Lockdowns, dass es mehr Fälle geben wird.
Aber wir hoffen natürlich, dass der Skos-Bericht ein düstereres Bild zeichnet, als die Realität aussehen wird», sagt die FDP-Grossrätin. Es sei schwierig, die Entwicklung abzuschätzen. Gautschy hofft auf gegenseitige Unterstützung: «Solidarität wird in der Coronakrise heftig gefordert.
Jetzt fängt aber das Leben mit ihr erst an.» Die Frage sei, ob Wirtschaft und Gesellschaft einen gemeinsamen Weg finden, damit die Leute weiterhin Arbeit haben und nicht auf die Sozialhilfe angewiesen seien.
Die Hoffnung, dass sich die Skos-Prognosen nicht bewahrheiten, teilt Fabienne Notter, die Geschäftsleiterin der Caritas Aargau. Eine Zunahme der Fälle stellt auch sie bisher nicht fest. An die Caritas gelangten derzeit jedoch tatsächlich mehr Menschen als vor der Krise. «Das sind Arbeitnehmende in Kurzarbeit, denen der Lohn nicht mehr reicht oder Menschen, die im Stundenlohn angestellt waren und jetzt nichts mehr verdienen», so Notter.
Aber ob all diese Leute dereinst auch ausgesteuert werden und darum auf Sozialhilfe angewiesen sein werden, sei schwierig zu prognostizieren.
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