
Stromausfall nach Katastrophe: Überleben im totalen Blackout
Notfallkonzept Wenn die Sirenen heulen, muss man Radio hören. Was aber, wenn gar nichts mehr geht? Der Kanton Aargau präsentiert eine Lösung.
Ein verregneter Samstagabend: Sie sitzen in ihrem Wohnzimmer und telefonieren. Plötzlich beginnt die Erde zu beben. Sie krallen sich an ihrem Sofa fest, der Kronleuchter kracht zu Boden, die Blumenvase auf dem Esstisch zersplittert und in der Küche fällt haufenweise Porzellan aus den Schränken. Nach wenigen Sekunden ist der Schreck vorbei. Ein Blick auf das Mobiltelefon verrät, dass die Verbindung abgebrochen ist: «Kein Netz». Plötzlich geht im Wohnzimmer das Licht aus. Wenig spä- ter ertönen die Sirenen. Sie tasten sich in die Küche zum Radiogerät. Es lässt sich nicht einschalten. Auch der Fernseher springt nicht mehr an. Der Strom ist ausgefallen, ein komplettes Blackout.
Heute bliebe den Behörden nur eine Möglichkeit: Flugblätter abzuwerfen und zu hoffen, dass möglichst viele Menschen die Informationen erhalten würden. Damit der Informationsfluss auch in diesem Schreckensszenario gewährleistet bleibt, hat der Bevölkerungsschutz des Kantons Aargau zusammen mit dem Kanton Solothurn ein neues Sicherheitskonzept ausgearbeitet, welches er am Dienstagabend den Gemeinden vorstellte. Darin geht es um 26 Gefährdungsszenarien wie zum Beispiel Hochwasser, ein Terror-Anschlag oder ein Erdbeben. Die Lösung des Bevölkerungsschutzes bei einem Stromausfall: In jeder Gemeinde muss es mindestens einen sogenannten «Notfalltreffpunkt» geben, den jeder kennt. «Die Menschen können dann dorthin gehen und sich informieren. Falls notwendig, kann man auch eine Evakuierung vom Notfalltreffpunkt aus koordinieren», sagt Andreas Flückiger, Abteilungsleiter Militär und Bevölkerungsschutz des Kantons Aargau.
Geschütztes Funknetz
Der Notfalltreffpunkt wird in bekannten Gebäuden wie Gemeindehäusern, Turnoder Mehrzweckhallen sein. Im Ernstfall wird der Zivilschutz den Treffpunkt betreiben und die Bevölkerung informieren. Im Minimum müssten zwei Mann anwesend sein, und das im 24-Stunden-Betrieb. Die Angehörigen des Zivilschutzes wären die Einzigen, die mittels dem geschützten Funknetz Polycom noch Anweisungen empfangen könnten.
Dass ein solches Notfallszenario nach einem Erdbeben angewendet werden muss, ist denkbar. Das Erdbeben vom vergangenen Montag mit der Stärke 4,6 auf der Richterskala ging noch glimpflich aus. In der Schweiz kann die Erde aber auch deutlich schlimmer beben. Ein Erdbeben mit einer Magnitude von 6 ereignet sich hierzulande alle 50 bis 100 Jahre. Stefan Wiemer, Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes, sagt: «Tatsächlich müssen wir davon ausgehen, dass in der Schweiz Erdbeben bis zu einer Stärke von 7,5 auf der Richterskala möglich sind.» Ein solch starkes Beben könnte eine ganze Region von der Stromzufuhr abschneiden. «Bei einem solchen Szenario werden wir alle froh sein, dass wir Notfalltreffpunkte eingerichtet haben», sagt Flückiger.
Geringe Kosten für Gemeinden
Der Zeitplan für die Gemeinden ist sportlich. Bis im Jahr 2019 müssen sie die Notfalltreffpunkte bestimmt und eingerichtet haben. Die Reaktionen aus den Kommunen sind positiv. Hermann Zweifel, Gemeinderat in Hausen bei Brugg, sagt, ihm gefalle die Idee des Kantons: «Es ist wichtig, dass sich die Bevölkerung im Notfall an einem Ort informieren kann.» Er verweist aber darauf, dass man die Mehrkosten für die Gemeinden unter Kontrolle halten müsse. Flückiger hält fest, dass die Gemeinden zum jetzigen Zeitpunkt nur für die Montierung einer Notfall-Tafel aufkommen müssen. Auch beim Bund kommt die Aargauer Idee gut an. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz kann sich vorstellen, dass andere Kantone dieses System übernehmen werden.
Trotz der Begeisterung von Gemeinden und Bund: Der Worstcase, ein Stromausfall nach einem atomaren Unfall oder Angriff, bleibt ein ungelöstes Problem. Dann könnten sich die Notfalltreffpunkte sogar negativ auswirken, weil viele Menschen nach draussen gehen und sich der radioaktiven Strahlung aussetzen würden. In einem solchen Fall müsste man so schnell wie möglich Flugblätter abwerfen, um die Bevölkerung über die radioaktive Strahlung zu informieren, sagt Flückiger. Er appelliert an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Man sollte Notvorräte im Keller haben, die eine drei- bis fünftägige Selbstversorgung sicherstellen.