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Gestrandet zwischen Romantik und Realität: Der SC Langenthal ist in seinem 75. Jahr in eine Identitätskrise geraten

Die «Belle Epoque» ist zu Ende. Verwundert reiben sich die Langenthaler die Augen und wenn sie zurückblicken, dann wird ihnen fast ein wenig bange, wenn sie sehen, wie hoch sie gestiegen sind. Und wie tief sie nun fallen können. 2002 ist der SC Langenthal nach 17 Jahren im Amateurhockey in die zweithöchste Liga zurückgekehrt. Seither ist es stetig aufwärtsgegangen. Bis in die meisterlichen Höhen von 2012, 2017 und 2019.

Präsident Gian Kämpf sagt rückblickend: «2019 haben wir den Kopf oben angeschlagen. Wir waren Meister und erkannten, dass wir doch nicht in die höchste Liga gehören und verzichteten auf die Liga-Qualifikation. Weil wir nicht die entsprechende Infrastruktur haben.» Mit diesem Meistertitel ist die «Belle Epoque» zu Ende gegangen. Nun ist der SC Langenthal im 75. Jahr seines Bestehens zwischen Romantik und Realität gestrandet.

SCL erwartet von der Stadt ein Bekenntnis

Spitzenhockey oder Rückkehr in die Bedeutungslosigkeit des Amateurhockeys? Diese Frage wird sich in den nächsten Monaten klären. «Unser Anspruch ist ganz klar, in der Swiss League ein Team zu sein, das die Grossen ­herausfordern kann», sagt Marc Kämpf. «Aber wenn wir das weiterhin sein wollen, brauchen wir eine bessere Infrastruktur.» Eigentlich könnte das Lotterstadion Schoren in romantischer Verklärung als «Flachland-Valas­cia» vermarktet werden. «Die Idee ist ja gut. Aber dieses Stadion entspricht einfach nicht mehr den Erfordernissen der Zeit.» Der SCL, gefangen im Korsett eines museumsreifen Stadions. «Ja, so ist es», sagt der Präsident.

SC Langenthal gegen den EHC Olten: Bleibt es das grosse Derby?

Was nun? Gian Kämpf erwartet noch im Dezember nach jahrelangem Hin und Her und geklärter Standortfrage nun von der Stadtregierung ein Bekenntnis zum 40-Millionen-Stadion-Projekt, das eigentlich bis 2026 verwirklicht werden sollte. Die Zeit des Lavierens sei um. «Entweder entschliesst man sich dazu, dem Volk ein Projekt zur Abstimmung vorzulegen. Wenn nicht, müssen wir uns überlegen, ob Profihockey in Langenthal noch eine Zukunft hat. Es gibt vier Varianten: Das Volk bewilligt ein Stadion für die Swiss League oder es gibt ein kleineres Projekt, das für Amateurhockey und öffentlichen Eislauf genügt, wie etwa in Burgdorf oder der Schoren wird für 20 Millionen saniert oder wir verzichten auf Eissport in Langenthal.» Das Budget ist inzwischen im Vergleich zur letzten Meistersaison (2018/19) um fast eine Million auf rund 3,5 Millionen gekürzt worden. Die Langenthaler haben das Glück, dass das Team von einem harten Kern trotzdem in die Spitzengruppe getragen worden ist: von einem starken Goalie, guten Ausländern, Talenten und Routiniers. Kämpf: «Aber seit 2019 stehen wir auf dünnem Eis.»

Dario Kummer an der Meisterfeier im Jahr 2019.

Tschannen wird seine Karriere beenden und das grosse Sesselrücken

Torhüter Pascal Caminada (35) ist ein guter, aber kein grosser Goalie mehr. Gegen Olten steht er nach einer zehntägigen Corona-Quarantäne vor dem Comeback. Die finnische «Tormaschine» Eero Elo kehrt nach einem Armbruch wohl erst im Januar aufs Eis zurück. «Wir treten zum Derby nur mit einem Ausländer an», sagt Sportchef Kevin Schläpfer. Stefan Tschannen (37) wird Ende Saison seine Karriere beenden und einen Job im Nachwuchs bekommen und Super­talent Luca Christen (23) verteidigt nächste Saison für Biel.

Dazu kommt das Sesselrücken im Büro. Geschäftsführer Gian Kämpf ist zum Präsidenten aufgestiegen und hat sich offiziell (aber nicht inoffiziell) aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Der vom Handballklub BSV Bern abgeworbene Achim Dähler (43) hat als CEO schon nach wenigen Tagen das Handtuch geworfen und nun amtet ab dem 1. Dezember der in Bern gescheiterte Sportchef Alex Chatelain als Bürogeneral. Kein Geld für einen Ersatzausländer, aber Geld für einen umstrittenen neuen Geschäftsführer. Gian Kämpf verteidigt diese Anstellung, die im Umfeld nicht nur Begeisterung ausgelöst hat. «Wie Kevin Schläpfer hat auch Alex Chatelain seine Karriere als Spieler bei uns beendet. Beide kennen unsere DNA.»

Nun obliegt es also dem Duo Chatelain und Schläpfer, den SCL auf Kurs zu halten. Dem Sportchef ist es gelungen, die Krise zu meistern. Der SCL hat kürzlich auch Kloten (5:4 n. P) gebodigt. Trainer Jeff Campbell, mit Vertrag bis 2023, steht wieder auf festerem Boden. Der Präsident mag rühmen, dass sich Kevin Schläpfer und sein neuer CEO – der eine temperamentvoll und charismatisch, der andere ruhig und ohne jedes Charisma – ideal ergänzen werden. Aber wer hier Konfliktpotenzial heraufziehen sieht, muss kein Schelm sein. Kämpf stellt klar: «Alex ist als Geschäftsführer der Chef und Kevin ist ihm unterstellt.»

Das sieht der umtriebige Sportchef nicht ganz so. Wenn er mit gequälter Lockerheit scherzt: «Sie kennen mich doch: Ich hatte noch nie einen Chef.» Er scherzt eben nicht, er meint es so. «Niemand ist für die Ewigkeit bei uns», sagt der Präsident. «Kevin Schläpfers Vertrag läuft Ende nächstes Saison aus und wir diskutieren noch nicht über eine Verlängerung.» Es rockt in Langenthal wie seit Jahren nicht mehr: im SCL-Büro, in der Kabine und in der Stadtpolitik. Aber ein bisschen weniger auf dem Eis.