«Wir sind doch nicht im wilden Westen!»: SP-Nationalrätin Gabriela Suter attackiert SVP-Plan für Tempo-30-Verbot und dreht den Spiess um
Die Ankündigung des Kantons, auf der Bahnhofstrasse Aarau ab März 2022 die Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h zu begrenzen, sorgt für heftige politische Reaktionen. Am Dienstag reichte die SVP im Grossen Rat eine Motion ein, die verlangt, dass Tempo 30 auf Kantonsstrassen innerorts im Aargau verboten wird. Grossrat Rolf Jäggi wirft dem Regierungsrat vor, er verstosse mit seinem Entscheid gegen Bundesrecht. Dieses halte fest, dass auf verkehrsorientierten Strassen innerorts generell 50 km/h gelte. Die Kriterien für Tempo 30 seien bei der Bahnhofstrasse in Aarau nicht erfüllt, kritisiert Jäggi.
Ganz anders sieht dies SP-Nationalrätin Gabriela Suter, die selber in Aarau wohnt und auch die Lärmliga Schweiz präsidiert. Auch sie sieht einen bundesrechtswidrigen Vorgang – allerdings nicht bei der Anordnung von Tempo 30 auf der Bahnhofstrasse, sondern beim SVP-Vorstoss gegen dieses Vorhaben. Suter sagt:
«Die SVP schlägt vor, die kantonale Regierung zu beauftragen, Bundesrecht nicht anzuwenden. Das ist haarsträubend, wir sind doch nicht im Wilden Westen.»
Die Nationalrätin hält fest, die Anforderungen an die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit würden abschliessend im Bundesrecht umschrieben. Tempo 30 komme insbesondere für mehr Verkehrssicherheit sowie aus Lärmschutzgründen in Frage, wobei es für die Anordnung im konkreten Fall immer ein Gutachten brauche.
Umweltschutzgesetz verlangt, dass Lärm an der Quelle bekämpft wird
Suter weist weiter darauf hin, dass das Umweltschutzgesetz die Begrenzung von Lärm (wie auch von anderen Emissionen) durch Massnahmen bei der Quelle verlange. Dies gelte nicht nur, wenn die Immissionsgrenzwerte überschritten würden, sondern ganz generell, sagt die Präsidentin der Lärmliga Schweiz.
Diese bundesrechtlichen Vorschriften sind laut Suter nicht nur für die Vollzugsorgane von Bund und Kantonen bindend, sondern setzen auch den Legislativen auf kantonaler und kommunaler Ebene klare Grenzen. «Konkret: Ein Kantonsparlament kann nicht beschliessen, dass bestimmte bundesrechtliche Vorschriften auf dem Kantonsgebiet nicht angewendet werden, dies würde Bundesrecht verletzen», sagt sie.
Suter will System umkehren: Tempo 30 als Regel, Tempo 50 als Ausnahme
Auf nationaler Ebene setzt sich Gabriela Suter mit einer parlamentarischen Initiative für Tempo 30 ein. Sie möchte diese Geschwindigkeitslimite aber nicht nur auf bestimmten Strassenabschnitten oder in einzelnen Quartieren fördern, sondern wählt einen weitergehenden Ansatz. Geht es nach der SP-Nationalrätin, soll künftig innerorts generell Tempo 30 gelten und Tempo 50 soll die Ausnahme sein.
Damit würde das heutige System – das generell 50 km/h und Tempo 30 nur in Ausnahmefällen – umgekehrt. Suter verlangt in ihrer parlamentarischen Initiative, die in der laufenden Wintersession behandelt werden soll, eine entsprechende Änderung des Strassenverkehrsgesetzes. Dieses soll so angepasst werden, dass innerorts generell Tempo 30 gilt. Begründete Ausnahmen auf Hauptstrassen/verkehrsorientierten Strassen sollen möglich sein. Die Streckenabschnitte, auf denen ein höheres Tempolimit gilt, sollen besonders gekennzeichnet werden.
Verkehrskommission des Nationalrats lehnt Suters Forderung knapp ab
Suter argumentiert: «Tempo-30-Zonen sind zwar heute bereits möglich, die rechtlichen Rahmenbedingungen stellen aber grosse Hürden für Kantone, Städte und Gemeinden dar.» Tempo 30 sei aber ein wirksames Instrument, um auf den Strassen innerorts für mehr Sicherheit und Ruhe zu sorgen und die Wohn- und Aufenthaltsqualität zu steigern.
Die Nationalrätin verweist auf die Niederlande, wo ihre Forderung bereits umgesetzt ist. Dort habe das Parlament vor kurzem beschlossen, dass Tempo 30 nicht mehr eine extra anzuordnende Ausnahme, sondern die Regelgeschwindigkeit innerhalb von Gemeinden und Städten sein solle. «Auch verschiedene Schweizer Städte haben Tempo 30 in der Nacht (zwischen 22 Uhr und 6 Uhr) bereits eingeführt», hält Suter fest. Die Verkehrskommission des Nationalrats hat ihre parlamentarische Initiative Mitte August allerdings mit 13 zu 10 Stimmen zur Ablehnung empfohlen.