Thierry Burkarts Kandidatur war ein Krimi: Erst am Samstagmorgen um 3 Uhr entschied er sich anzutreten

Das Interview findet im Saal Bovet des Hotels Kreuz statt. Thierry Burkart ist gut gelaunt, die Pressekonferenz war ein Erfolg.

Sie schwiegen lange. Da gab es Gerüchte. Etwa, dass Sie sich von einem Partner der PR-Agentur Farner ein neues FDP-Programm schreiben liessen. Ist da was dran?

Thierry Burkart: Das ist falsch. Ich habe mir aber in einem intensiven Entscheidungsprozess Überlegungen zu den verschiedensten Fragen gemacht und sehr viele Gespräche mit ganz vielen Leuten geführt.

Können Sie Namen nennen?

Das waren unzählige Leute, auch aus dem privaten Umfeld. Meine Partnerin etwa musste dazu bereit sein, dass ich den Job übernehme.

Sie wird auf vieles verzichten müssen. Sie wollen zu 100 Prozent FDP-Präsident sein, Astag-Präsident bleiben – und auch ab und an als Anwalt arbeiten.

Priorität hat das FDP-Präsidium. Die Anwaltstätigkeit werde ich wohl auf ein Minimum beschränken müssen. Auch genau deshalb trete ich im Team mit vier Vizepräsidentinnen und -präsidenten an. Das war für mein Ja vom Samstagmorgen ausschlaggebend.

Am Samstagmorgen?

Ja. Ich entschied mich zwischen drei und vier Uhr morgens. Ich rang mich in einer schlaflosen Nacht durch.

Sie gingen gar nicht zu Bett?

Doch. Ich lag im Bett, als ich den Entscheid fällte. Ich nickte kurz ein, erwachte – und sagte mir: Doch, das mache ich.

An der Medienkonferenz sprachen Sie immer wieder vom «Team FDP». Ist das Ihr Claim für die Wahlen?

Nein. Die vier Vizepräsidien und ich wollen die FDP gemeinsam voranbringen. Wir werden strategische und operative Belange gemeinsam entscheiden. Zudem werden alle vom Vizepräsidium mit Kompetenzen und Aufgaben ausgestattet.

Das Team FDP von Thierry Burkart (von links) - mit Ständerat Andrea Caroni, Ständerätin Johanna Gapany und den Nationalräten Philippe Nantermod und Andri Silberschmidt.

Das Team FDP von Thierry Burkart (von links) – mit Ständerat Andrea Caroni, Ständerätin Johanna Gapany und den Nationalräten Philippe Nantermod und Andri Silberschmidt.

Keystone (Bern, 16. August 2021)

Im Moment ist die FDP kein besonders gutes Team.

Das soll sich ändern. Ich will mit meinem Team auf alle relevanten Kräfte in der Partei zugehen. Wir müssen die wichtigen Themen frühzeitig erkennen und einvernehmlich angehen. Wir werden in Zukunft geschlossen auftreten.

Sie wollen einen?

Natürlich. Das ist die Aufgabe eines Führungsteams.

Das ist Ihnen klar?

Ja. Sonst müsste ich den Job nicht antreten.

In der Partei scheint es grossen Bedarf an Grundlagenarbeit zu geben. Ständerat Ruedi Noser leistet programmatische Arbeit, die «Freunde der FDP» wollen inhaltlich mitreden.

Das ist sicher ein Bedürfnis. Wir müssen unsere Positionierungen schärfen und gleichzeitig unsere starken Leute im Parlament sichtbarer machen. Das ist eine Chance. Wir sind eine Volkspartei mit Leuten aus allen Landesteilen und Lebenslagen. Ich habe Freude am Ideenwettbewerb, wenn die Leute mitdenken, mitarbeiten und eigene Ideen entwickeln. Das hilft auch uns als Führungsteam.

Liberalismus war für Sie immer wichtig. Muss die FDP ihn in Zeiten des Etatismus neu definieren?

Ich verstehe Liberalismus immer als Begriffspaar von «Freiheit» und «Verantwortung». Wir wollen, dass die Menschen ihr Leben möglichst frei gestalten können. Das führt dazu, dass sich viele für unser Gemeinwesen engagieren. Wir waren nie eine libertäre Partei. Für uns gab es immer Bereiche, in denen der Staat eine starke Rolle spielen muss. Was der Staat tut, soll er gut machen. Wir basieren auf dem Fundament der sozialen Marktwirtschaft.

Sie stehen auf dem Fundament der sozialen Marktwirtschaft?

Voll. Zum Beispiel setzte ich mich ein für die Überbrückungsleistungen für über 60-jährige Langzeitarbeitslose. In der Überzeugung, dass es um eine Frage der Würde geht für Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, kurz vor der Pensionierung in die Arbeitslosigkeit fallen und noch in die Fürsorge müssten. Natürlich steht die Freiheit für Liberale im Vordergrund. Aber es braucht immer auch die Verantwortung.

Sie gelten als guter Kommunikator. In der Schule hatten Sie laut «Schweizer Illustrierte» immer die Note 6, wenn Sie eine Rede hielten.

Ganz so habe ich das nicht in Erinnerung. Ich fühle mich in meiner Kommunikation immer dann sicher, wenn ich exakt weiss, wovon ich spreche. Das ist mit viel Arbeit verbunden.

Wie wichtig ist Ihnen Kommunikation?

Ich bin sehr gerne bei den Leuten, das macht mir Freude. In der Partei müssen alle den Austausch mit der Bevölkerung intensiv pflegen. Im technologischen Bereich haben wir aber ein riesiges Potenzial. Deshalb bin ich froh, dass wir in unserem Team mit Andri Silberschmidt einen absolut technologieaffinen Politiker haben. Ich bin übrigens mit 45 Jahren der Älteste.

In der Vergangenheit waren Sie für Medienschaffende sehr gut telefonisch erreichbar. Wird das so bleiben?

(Überlegt) Ich vermute nicht. (Lacht) Das war früher anders, als ich nicht in einer Partnerschaft war. Jetzt bin ich das und ich möchte mein privates Leben abtrennen vom politischen Leben. Ich möchte die private Zeit geniessen, weil ich so Kraft tanken kann. Deshalb wird es Zeiten geben, in denen ich nicht erreichbar bin. Dann springen meine Vizepräsidenten ein.

Wie wollen Sie Gräben schliessen, die es in der FDP in den letzten Monaten gab?

Ich will bei den Themen alle relevanten Kräfte einbeziehen, um gemeinsame Lösungen zu finden. Und wir müssen anerkennen, dass wir alle in der Vergangenheit Fehler gemacht haben. Wenn das alle eingestehen und ihren guten Willen zeigen, können wir Vergangenes hinter uns lassen. So verleihen wir dem freisinnigen Feuer gemeinsam neuen Schub.

Sie selber sind zum Beispiel manchmal dünnhäutig.

Ja. Wie gesagt, ich bin nicht perfekt. Ich stehe dazu. Ich bin kein Eisklotz, keine Maschine, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Mir gehen die Dinge manchmal nahe. Daran werde ich arbeiten.

Auf Twitter war ein Bild zu sehen mit Ihnen und Ihren Konkurrenten Damian Müller und Marcel Dobler. Der stellvertretende Generalsekretär der Mitte schrieb dazu: «Wallstreet-Boys.» Erkennen Sie sich darin?

Ich gelte eigentlich als geerdet und bodenständig. Aber natürlich respektiere ich die Krawattenpflicht im Ständerat.

Gerhard Pfister likte den Tweet.

Wir sind jetzt natürlich in einem gewissen Sinne Konkurrenten. Damit muss man umgehen können. Ich freue mich jedenfalls auf unsere zukünftigen Diskussionen.

Drei Parteien werden grosse Freude haben daran, dass Sie wohl Präsident der FDP werden: Mitte, GLP und SVP.

Warum?

Mitte und GLP freuen sich, dass sich die FDP mit Ihnen weiter nach rechts bewegt. Und die SVP, dass ihr die FDP wieder näherkommt.

Die Positionierung der Partei legt nicht der Präsident alleine fest. Fraktion und Delegiertenversammlung tun das. An unserer Ausrichtung wird sich grundsätzlich nichts ändern. Uns alle eint ein klares liberales Fundament. In den letzten Monaten sprachen wir zu sehr über das wenige, was uns trennt statt über das viele, was uns eint. Wir werden in nächster Zeit das stärker betonen, was uns verbindet.

Sie sind aber rechter positioniert als Petra Gössi es als Präsidentin ist.

Ich halte nicht viel von diesen Etikettierungen. Sieht man sich das Abstimmungsverhalten im Parlament an, war ich im letzten NZZ-Rating linker als Andrea Caroni. Darüber mussten wir beide schmunzeln.

Der damalige Nationalrat Thierry Burkart mit FDP-Präsidentin Petra Gössi.

Der damalige Nationalrat Thierry Burkart mit FDP-Präsidentin Petra Gössi.

Keystone (Bern, 8. Juni 2016)

Zwei Fragen sorgten für Uneinigkeit: Rahmenabkommen und CO2-Gesetz.

Das Rahmenabkommen wurde beerdigt und das CO2-Gesetz vom Volk abgelehnt. Wir haben damit in beiden Fragen die Chance, wieder gemeinsam klar Position zu beziehen – und uns zu einen.

Wie sehen Sie die Situation beim Rahmenabkommen?

Wir stehen zum bilateralen Weg, wollen ein stabiles Verhältnis mit der EU. Das ist völlig unbestritten.

Soll die Schweiz die Kohäsionsmilliarde freigeben?

Persönlich bin ich der Meinung, dass die Milliarde eine Rechtspflicht der Schweiz ist. Wir sollten sie erfüllen. Selbstverständlich wird die Fraktion unsere Position nach eingehender Diskussion per Mehrheitsbeschluss festlegen.

Und wie sehen sie die Klimapolitik?

Wir stimmen überein, dass die Schweiz das Pariser Klimaabkommen erfüllen muss. Wir wollen zudem Massnahmen, die auf dem Kostendeckungs- und Verursacherprinzip basieren. Sie müssen effektiv sein und den technologischen Fortschritt einbeziehen. Zudem sollen sie ökonomisch und sozial nachhaltig sein. Als Volkspartei spielen wir sowohl beim Thema Europa wie in der Klimapolitik eine wichtige Rolle.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Bilder aus Afghanistan sehen?

Das sind sehr bewegende Bilder, die mir grosse Sorgen bereiten. Es zeigt, wie schnell ein Land wieder destabilisiert ist. Damit werden Frauen, Andersgläubige und Minderheiten in die Steinzeit zurückgeworfen. Das ist schlimm. Die Völkergemeinschaft hat die Verpflichtung, dort präsent zu sein.

Was soll die Schweiz tun?

Sie muss ihren Beitrag leisten, sei es im humanitären Sinn oder finanziell.

Muss sie zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen aus Afghanistan?

Wir nehmen viele Flüchtlinge aus Afghanistan auf. Und wir haben selbstverständlich eine Verpflichtung gegenüber Menschen, die an Leib und Leben bedroht werden. Es gilt das Asylrecht.

Welches Ziel haben Sie für die Wahlen 2023?

Wir wollen die Wahlen gewinnen. Dieses Land braucht auch in Zukunft eine starke liberale Stimme. Einen Linksrutsch im Bundesrat gilt es zu verhindern.