
«Vielleicht waren wir zu anständig für die Politik»: Bernhard Guhl hängt jetzt CVP-Plakate auf
Zur Person
Bernhard Guhl ist 48-jährig, verheiratet und Vater von zwei Mädchen (13 und 15). Der Elektroingenieur wohnt in Niederrohrdorf, zählte im Jahr 2008 zu den Gründungsmitgliedern der BDP Aargau und sass für seine Partei acht Jahre lang im Nationalrat. Im vergangenen Herbst verpasste Guhl die Wiederwahl. Weil die EVP als Listenpartnerin mehr Stimmen erzielt, zog an seiner Stelle neu Lilian Studer in den Nationalrat ein. Guhl ist in der Feuerwehr aktiv, eines seiner Hobbys ist die Imkerei. In der Freizeit treibt er gerne Sport und hat schon an mehreren Bergläufen teilgenommen. (fh)
Er war Gründungsmitglied, Nationalrat und prominentester Kopf der BDP Aargau, verkörperte und prägte die gelb- schwarze Partei jahrelang. Nun steht Bernhard Guhl neben einer Ladestation für Elektroautos, die zufälligerweise in den BDP-Farben lackiert ist. Heute ist Guhl bei Siemens in der Elektrobus- Sparte tätig – der Job macht ihm Freude, doch er sagt auch: «Mein Interesse an der Politik wird immer bleiben.»
Seit Samstag dürfen die Parteien im Aargau ihre Plakate für die Wahlen am 18. Oktober aufhängen. Auch Sie wurden 2019 nicht mehr in den Nationalrat gewählt, diesen Herbst tritt die BDP im Aargau nicht an – fehlt Ihnen der Wahlkampf?
Bernhard Guhl: Ich habe zwar kein politisches Amt inne, aber ich unterstütze meine Kolleginnen und Kollegen aktiv im Wahlkampf. Statt meine eigenen Plakate oder jene der BDP hänge ich nun eben Plakate für die Liste CVP – die Mitte auf. Das ist die gemeinsame Liste unserer beiden Parteien, ich stehe nicht mehr zuvorderst, aber ich helfe selbstverständlich auch mit beim Plakatieren.
Trotzdem: Es ist nicht dasselbe, eine gemeinsame Liste zu unterstützen, als selber um einen Sitz zu kämpfen. Vermissen Sie die Politik, die Podien, die Diskussionen?
Ich bin ja nicht aussen vor oder komplett weg vom Fenster, nur weil ich selber nicht kandidiere. Ich interessiere mich immer noch sehr für Politik, das wird sich nie ändern. Aber ich kann das politische Geschehen jetzt gelassener und mit mehr Abstand anschauen als früher. Auch meine Polit-Mailbox ist heute nicht mehr so voll wie früher – die Mailflut vermisse ich überhaupt nicht.
Guhl schaffte die Wiederwahl in den Nationalrat letztes Jahr nicht. © Fabio Baranzini
Wurden Sie angefragt, ob Sie auf der CVP-Liste im Aargau für den Grossen Rat kandidieren wollen?
Ja, diese Anfrage gab es, aber für mich war rasch klar, dass dies für mich keine Option ist. Ich möchte nicht als einer gelten, der immer und immer wieder kandidiert.
Für mich hat es bei den letzten Nationalratswahlen nicht gereicht, jetzt ist eine Pause gut. Zudem habe ich mein Arbeitspensum wieder aufgestockt, darauf möchte ich mich nun auch konzentrieren können.
Wie sehr schmerzt es, dass die BDP nicht mehr mit einer eigenen Liste im Aargau antreten kann?
Mir persönlich tut das sehr weh, ich war Gründungsmitglied der BDP Aargau und habe in den vergangenen Jahren sehr viel Zeit und Herzblut für die Partei eingesetzt. Die BDP ist fast ein bisschen mein Baby, ich habe gesehen, wie die Partei wuchs und auch einiges dazu beigetragen hat, darum ist es traurig.
Sie haben viel politische Erfahrung, welche Tipps geben Sie den Kandidatinnen und Kandidaten auf der Mitte-Liste für den Wahlkampf?
Plakate sind aus meiner Sicht das wichtigste Werbemittel. Zudem muss man heute sicher in den sozialen Medien präsent und aktiv sein. Aber auch persönliche Begegnungen, zum Beispiel in Vereinen oder in der Feuerwehr, sind wichtig, obwohl dies in der Coronazeit schwieriger ist. Aber ich bin überzeugt: Wer nur zu Hause am PC sitzt und Beiträge in sozialen Medien erstellt, wird nicht weit kommen.
Wen wählen Sie am 18. Oktober in den Grossen Rat? Werfen Sie unverändert die CVP-Mitte-Liste ein, auf der auch ehemalige BDPler stehen?
Ja, ich werde sicher die Liste CVP – die Mitte einwerfen und darauf unsere BDP-Kandidaten doppelt aufführen.
Und beim Regierungsrat? Die BDP hatte einst Gleichberechtigung von Mann und Frau als Wahlkampfthema, im Aargau könnte die Regierung rein männlich bleiben …
Ich wähle die vier Bisherigen und dazu Dieter Egli von der SP. Insbesondere unterstütze ich Markus Dieth und Stephan Attiger. Es schmerzt zwar, dass dann keine Frau im Regierungsrat sitzt, das ist sicher nicht optimal. Aber ich wähle keinen Bisherigen ab und Dieter Egli kenne noch gut aus meinen Grossratszeiten und weiss, dass er das Zeug zum Regierungsrat hat.
Wie lange soll der Aargau denn eine reine Männerregierung haben?
Eigentlich ist es ein Armutszeugnis für unseren Kanton, dass der Aargau keine Frau in der Regierung hat. Das muss man bei der nächsten Vakanz korrigieren. Aber momentan ist die Konstellation so, dass Dieter Egli mehr politische Erfahrung hat und aus der grösseren Partei ist, das gewichte ich bei meinem Wahlentscheid höher.
Sie gehen also davon aus, dass Dieter Egli in den Regierungsrat gewählt wird. Wie sieht Ihre Prognose für die Grossratswahlen aus, wer gewinnt, wer verliert?
Das ist schwierig vorauszusagen, die grüne Welle und die Klimathematik sind wegen Corona in den Hintergrund gerückt. In der Coronakrise hat sich keine Partei derart profiliert, dass man klar sagen könnte, wer nun davon profitiert. Deshalb glaube ich, dass vieles von den einzelnen Persönlichkeiten auf den Grossratslisten abhängig ist. Persönlich hoffe ich natürlich darauf, dass die konstruktive Mitte Sitze gewinnt.
Kann man in der Mitte einfach die Stimmen von CVP und BDP bei den letzten Wahlen zusammenzählen und erhält dann das Wahlresultat?
Ich hoffe natürlich, dass dies so eintrifft und die Mitte im Grossen Rat damit wieder gestärkt wird. Es braucht mehr konsensorientierte, lösungsorientierte Kräfte. Aber in diesem speziellen Jahr sind Prognosen schwierig.
Für die SVP als stärkste Partei im Aargau zeichnet sich eine Abstimmungsniederlage ab, die Begrenzungsinitiative wird gemäss ersten Umfragen abgelehnt. Wird die SVP danach auch Wähleranteile im Grossen Rat verlieren?
Ich gehe davon aus, dass die Begrenzungsinitiative abgelehnt wird. Aber ich glaube nicht, dass dies der SVP bei den Grossratswahlen viele Stimmen kosten wird. Ohnehin glaube ich, dass sich bei den Parteienstärken keine grösseren Verschiebungen ergeben werden.
Kürzlich haben Sie auf Twitter ein Bild von Pollern beim Bundeshaus gepostet und geschrieben: «2017 hatte ich diese mit einem Vorstoss gefordert.» Ein bisschen Nationalrat sind Sie also immer noch?
Natürlich ist es schön, wenn man sieht, dass jetzt ein Anliegen von mir erfüllt wird. Ich habe vor drei Jahren gesagt, dass unser Bundeshaus nicht gut genug geschützt ist. Weltweit gibt es immer wieder Terroranschläge, in Bern hätte man bisher mit einem Lieferwagen quer über den Bundesplatz und direkt ins Bundeshaus fahren können. Damals hat der Bundesrat mein Anliegen noch nicht sehr ernst genommen, umso mehr freut es mich, dass die Poller jetzt stehen.
© Keystone
Gibt es noch weitere Vorstösse oder Anliegen von Ihnen als Nationalrat, die derzeit hängig sind?
Ich staune selber, wie lange es mit unseren politischen Prozessen manchmal geht, bis etwas umgesetzt ist. Eine meiner Forderungen ist die stärkere Verfolgung und härtere Bestrafung von Angriffen auf Beamte und Polizisten. Mein Vorstoss dazu ist inzwischen zwar abgeschrieben, die Kommissionen haben aber zugesichert, dies im Rahmen einer Gesetzesrevision anzugehen. Auch ein Vorstoss gegen das Bienensterben und für weniger Pestizideinsatz ist kürzlich angenommen worden.
Sie lancieren mehrheitsfähige Vorstösse, die BDP war bei Abstimmungen oft auf der Seite der Sieger. Dennoch serbelt ihre Partei national und kantonal. Waren Sie mit der BDP zu brav und anständig, haben Sie zu wenig provoziert?
Wir haben von Anfang an gesagt, dass die BDP mit Anstand politisieren will. Dies im Unterschied zur SVP, die häufig auf grenzwertige Provokationen setzt. Vielleicht ist das im heutigen politischen Betrieb ein Nachteil, vielleicht hätten wir manchmal tatsächlich lauter und pointierter auftreten sollen.
Einst hatte die BDP mit Eveline Widmer-Schlumpf sogar eine Bundesrätin, heute droht die Partei zu verschwinden. Wie konnte es so weit kommen?
Die BDP hatte mit Samuel Schmid und Eveline Widmer-Schlumpf gar zwei Bundesräte. Eveline Widmer-Schlumpf war natürlich ein Aushängeschild für die BDP, nach ihrem Rücktritt aus dem Bundesrat fehlte uns sicher ihr prominenter und bekannter Kopf. Dann muss man auch anerkennen, dass es in der Mitte zu viele Parteien gibt.
Die BDP scheint zwölf Jahre nach ihrer Gründung wieder von der politischen Bühne abzutreten. Die GLP, die auch erst 13 Jahre alt ist, hat hingegen Erfolg – wie erklären Sie sich diesen Unterschied?
Die Grünliberalen haben einen Parteinamen, der die Position gleich enthält. Sie sind damit erfolgreich. Wir wollten uns nicht auf ein einzelnes Thema beschränken und dieses besetzen. Bei vielen Themen, wo wir gute Lösungen vorgeschlagen hatten, wie zum Beispiel Sicherheit, Altersvorsorge, Energie oder dem bilateralen Weg mit der EU, haben anderen Parteien ähnliche Positionen vertreten. Und wir hatten als kleinere Fraktion im Bundeshaus sicher weniger Medienpräsenz als manch andere Parteien, das ist auch ein Grund.
© Keystone
Ist Ihre politische Karriere eigentlich definitiv beendet? Oder kandidiert Bernhard Guhl im Herbst 2023 wieder für den Nationalrat, dann einfach auf der Mitte-Liste?
Sag niemals nie: Dieses Sprichwort passt bei dieser Frage. Ich bin ein politischer Mensch, habe die Politik im Herzen, der Reiz wäre sicher da. Aber ich geniesse es auch, dass ich jetzt mehr Zeit habe für meine Familie und dass ich beruflich sehr interessante Projekte bearbeiten kann. Denn ich bin im Herzen nicht nur Politiker, sondern zum grossen Teil auch Elektroingenieur.
Wie stehen Sie mit diesem Wissen und Hintergrund zum neuen Aargauer Energiegesetz, über das am 27. September entschieden wird?
Ich werde dem Energiegesetz zustimmen. Aus meiner Sicht müsste es vor dem Hintergrund des Klimawandels noch weiter gehen. Öl zu verbrennen ist im Jahr 2020 zum Beispiel längst nicht mehr zeitgemäss. Aber mit schärferen Vorgaben wäre das Gesetz im Aargau wohl kaum mehrheitsfähig.
Sie sorgen in Ihrem Beruf dafür, dass weniger Öl verbrannt wird: Bei Siemens sind Sie für Elektrobusse und Ladestationen für Autos verantwortlich. Ist das die Zukunft des öffentlichen Verkehrs in den Städten, auch im Aargau?
Es ist sicher ein wichtiges Element, wir erhalten im Moment sehr viele Anfragen von Verkehrsbetrieben, die grosses Interesse an Elektrobussen und Ladestationen haben. In Basel wird zum Beispiel das jetzige Busdepot abgerissen und ersetzt, dort setzen die Verantwortlichen vollständig auf Elektrobusse.
Wo machen Elektrobusse am meisten Sinn – auf kurzen Strecken in der Stadt oder auch über Land?
Auf Überlandstrecken ist der Einsatz fast einfacher, weil es dort eher Endhaltestellen gibt, wo der Bus eine Zeit lang steht und die Batterien aufgeladen werden können. In der Stadt ist eine Kombination aus Tram und Elektrobussen interessant. Auf jeden Fall braucht es aber eine gute Ladeinfrastruktur und intelligente Software. Schliesslich muss der von den Bussen benötigte Strom so aus dem Stromnetz bezogen werden, dass dieses nicht überlastet wird.
Aber sind Elektrobusse heute nicht relativ teuer und die Leistungsfähigkeit noch zu beschränkt?
Es stimmt, ein Elektrobus ist heute noch ziemlich teuer, die Batteriepreise werden jedoch noch sinken, und bei den Betriebskosten sind die Elektrobusse im Vorteil. Die ganze Dieselbusflotte kann auch nicht aufs Mal ausgetauscht werden. Ich bin sicher, dass sich der Elektrobus mit der technischen Entwicklung immer stärker durchsetzen wird.
Bundesrätin Doris Leuthard setzte auf ein Elektroauto, sie fuhr bei manchen Terminen im Tesla vor. Was für ein Auto fahren Sie?
Momentan fahre ich noch einen Benziner, auch weil ich für mein Hobby als Imker relativ viel Stauraum brauche. Ein entsprechendes Modell gibt es bei Elektroautos derzeit noch nicht. Aber mein nächstes Auto wird sicher elektrisch angetrieben sein. Mein Arbeitgeber setzt schliesslich auf E-Mobilität und hat für die Arbeitnehmer entsprechende Ladestellen aufgestellt, die schon rege genutzt werden.