Vor 25 Jahren endete der Autobahnkrieg im Aargau: Die Schliessung der letzten Lücke zwischen Zürich und Basel war ein Kraftakt

Jahrzehntelang quälten sich Autos und Lastwagen auf dem Weg von Zürich nach Basel über den Bözberg. Die Autobahn N3 endete bis 1996 im Norden in Frick, für die Strecke bis zur N1 im Birrfeld wurde der Verkehr über die Kantonsstrassen geführt. Pläne für die Schliessung dieser Lücke im Autobahnnetz gab es schon vor über 60 Jahren, in der langen Auseinandersetzung standen acht Linienführungsvarianten zur Diskussion.

Erste Skizzen Ende der 1950er-Jahre sahen eine Autobahnführung über den Bözberg mit einer tiefliegenden Querung des Aaretals bei Villnachern und einem kurzen Scheiteltunnel bei Linn vor. Diese Idee wurde jedoch rasch durch Pläne mit einer Aaretal-Hochbrücke südwestlich von Umiken und einem Geländeeinschnitt nahe der Linner Linde abgelöst. Bei der Projektauflage entbrannte sofort ein heftiger Streit, ob der 1500 Meter lange und 60 Meter hohe Viadukt vom Galgenhübel bei Hausen zum Bözbergsüdhang unterhalb Vierlinden landschaftsverträglich sei oder nicht.

Der «Autobahnkrieg»: Betroffene Gemeinden wehren sich

Die tangierten Gemeinden Hausen, Umiken, Unterbözberg und Linn opponierten. Sie unterstützten einen neuen Vorschlag des Badener Ingenieurs Dr. Josef Killer, die N3 nicht über, sondern durch den Bözberg zu führen. Die Öffentlichkeit stand Tunnelbauten wegen der Bau- und Betriebskosten aber skeptisch gegenüber. Auch die Strassenbauer von Kanton und Bund empfahlen die Hochbrückenvariante. Doch die Aargauer Regierung und der Bundesrat schwenkten 1969 auf die Tunnellösung um. Dagegen wehrten sich die neu betroffenen Gemeinden Lupfig, Scherz, Schinznach-Bad und Schinznach-Dorf.

Auf der Website des Juraparks Aargau findet sich eine Darstellung der diversen Varianten für die N3 – realisiert wurde letztlich die rot eingezeichnete Streckenführung.

Auf der Website des Juraparks Aargau findet sich eine Darstellung der diversen Varianten für die N3 – realisiert wurde letztlich die rot eingezeichnete Streckenführung.

Illustration: Julien Gründisch / ZVG

Weil die Kosten der Tunnellösung gegenüber der Hochbrückenvariante nochmals anwuchsen, verlangte der Bundesrat 1974 einen neuen Projektvergleich. Das Gutachten ergab Gleichwertigkeit in Bezug auf Technik und Umweltbelastung, aber Vorteile für die Hochbrückenvariante punkto Kosten und Bauzeit. Die Bevölkerung diskutierte leidenschaftlich über Pro und Kontra. Aktionskomitees hüben und drüben kämpften für ihre Standpunkte – es war vom «Autobahnkrieg» die Rede. Expertisen noch und noch versuchten Klärung zu schaffen. Der Regierungsrat liess sich nicht mehr umstimmen. Und auch der Bundesrat stützte 1980 mit der Genehmigung des generellen Projekts definitiv die Tunnellösung.

Streit um Linienführung und Gefährdung der Thermalquelle Bad Schinznach

Aber während das Bauprojekt ausgearbeitet wurde, ging das Ringen um die Linienführung weiter. Die Bad Schinznach AG, die eine Beeinträchtigung der Kuranlagen und die Gefährdung der Thermalquelle befürchtete, legte mit Naturschutzorganisationen eine «Verständigungsvariante» vor. Diese wollte den Bözbergtunnel nach Norden verschieben. Dadurch wäre jedoch der damals hochgeheime unterirdische Kommandoposten der Grenzbrigade 5 durchstossen worden – was man nicht bekanntmachen durfte. Es blieb bei der geplanten Tunnelachse. Ein weiteres Gutachten bezeichnete das Kontaminationsrisiko für die Thermalquelle als «nicht nichtig», aber bei vorsichtigem Tunnelvortrieb als vertretbar.

Die Auflage des Bauprojekts für die Gesamtstrecke Birrfeld–Frick erfolgte 1982 in Etappen. Die einzelnen Abschnitte stiessen auf unterschiedlichen Widerstand. Auf der Fricktaler Seite gab es wenige Einwände gegen das Teilstück Frick–Effingen, das schon bald für den Baubeginn freigegeben wurde. Hingegen «hagelte» es mehr als 200 Einsprachen gegen das Bözbergtunnel-Projekt und den Abschnitt Aaretal-Birrfeld mit dem Habsburgtunnel. Der Regierungsrat machte weitere Zugeständnisse in Bezug auf Lärmschutz und Schonung der Landschaft; an der Linienführung hielt er fest.

Beschwerden bis vor Bundesgericht – und die riskante Strategie des Kantons

35 Einspracheentscheide wurden an das Bundesgericht weitergezogen. Dieses trat grösstenteils nicht auf die Beschwerden ein und lehnte es ab, die aufgeworfenen Fragen materiell zu beantworten. Somit waren die Rechtsverfahren 1985 abgeschlossen. Neue planerische und ökologische Erkenntnisse sowie einige Wiedererwägungsgesuche und Verbesserungsanträge bewogen jedoch den Regierungsrat zu einer nochmaligen Beurteilung zentraler Fragen.

Das heutige Tunnelportal bei Effingen (rechts) und die ursprünglich geplante, aber nicht realisierte Variante der N3 durch das Sagimülitäli.

Das heutige Tunnelportal bei Effingen (rechts) und die ursprünglich geplante, aber nicht realisierte Variante der N3 durch das Sagimülitäli.

Bild: Jurapark Aargau / Grafik: Jana Breder

Das führte zu zwei wichtigen Korrekturen: Zur Achsverschiebung und Verlängerung des Bözbergtunnels um 600 Meter, wodurch das Sagimülitäli von der Autobahnführung verschont blieb; und zu einer 500 Meter langen Überdeckung der N3 im Schinznacherfeld zur Schonung der Kulturlandflächen. Diese Änderungen waren nachhaltig – aber hochriskant. Denn der Bund verlangte nochmals eine begrenzte Projektauflage, was den Baubeginn erneut hätte verzögern können. Vier neue Einsprachen wurden aber nach Verhandlungen zurückgezogen. So stand im Oktober 1987 dem Baubeginn nichts mehr im Weg,

Grossbaustellen mit Herausforderungen – und eine riesige Bohrmaschine

Die Erstellung der 19,0 Kilometer langen Strecke Birrfeld–Frick dauerte acht Jahre. Dabei wurden 2,57 Millionen Kubikmeter Erdmaterial bewegt. Grösste Bauobjekte waren der 3,7 Kilometer lange Bözbergtunnel, der 1,5 Kilometer lange Habsburgtunnel, der 450 Meter lange Schinznacherfeld-Tunnel, die 1230 Meter lange Brücke über den Schinznacher Schachen und die Aare sowie das Anschlussbauwerk Lupfig. Zudem wurden rund 6 Kilometer Bäche verlegt, 10,5 Kilometer Verkehrswege neu trassiert, 28 Überführungen, Unterführungen und Bachdurchlässe sowie 23 kleinere Bauwerke erstellt.

Neueste Methoden der Tunnel- und Brückenbautechnik kamen zur Anwendung. Die Bauleute wurden auch mit Überraschungen konfrontiert. So war die Geologie des Wülpelsberges für den Habsburgtunnel viel heikler, als die Sondierbohrungen voraussagten. Dagegen liess der Vortrieb des Bözbergtunnels die Therme von Bad Schinznach unbehelligt, aber das von einem Polier zufällig entdeckte Einsickern von aggressivem Tiefengrundwasser gefährdete den langfristigen Bestand des Bauwerks und zwang zur nicht vorgesehenen Abdichtung der Innenschalung.

Die Tunnelbohrmaschine kam von der deutschen Firma Herrenknecht, auf deren Website finden sich ein paar Daten dazu. Demnach startete am 2. Mai 1990 eine sogenannte Einfachschild-Bohrmaschine mit einem Durchmesser von 11,8 Metern – das Gerät mit der Bezeichnung S-56 war die erste Maschine dieses Typs von Herrenknecht. «Und sie bewährt sich sofort: Rund zwölf Meter fährt die S-56 täglich auf», heisst es dazu auf der Website der Firma.

 
3. Juni 1993: Die Feier zum Durchstich der Oströhre des 3,7 Kilometer langen Bözbergtunnels der Autobahn N3 beim Bahnhof Effingen.

3. Juni 1993: Die Feier zum Durchstich der Oströhre des 3,7 Kilometer langen Bözbergtunnels der Autobahn N3 beim Bahnhof Effingen.

Str / KEYSTONE

Am 5. September 1991 durchstiessen die Tunnelbohrmaschinen den Bözberg und zwei Wochen später den Wülpelsberg. Am 3. Juni 1993 wurde der Durchstich der zweiten Tunnelröhre in Effingen im Fricktal gefeiert. Nach diesen sichtbaren Zeichen des Baufortschritts nahmen weniger spektakuläre Bauarbeiten weitere fünf Jahre in Anspruch, bis die N3 am 17. Oktober 1996 schliesslich eröffnet werden konnte.

1,2 Milliarden Franken für 19 Kilometer neue Autobahn

Zur Feier auf dem Schinznacherfeld kam Bundesrat Moritz Leuenberger in den Aargau – der Verkehrsminister trat zusammen mit dem Aargauer Baudirektor Thomas Pfisterer auf. Das «Badener Tagblatt» berichtete damals auf mehreren Seiten über die Eröffnung des neuen Autobahnteilstücks.

17. Oktober 1996: Das letzte Teilstück der Autobahn N3 von Frick ins Birrfeld wird auf dem Schinznacherfeld von Bundesrat Moritz Leuenberger und dem aargauischen Baudirektor Thomas Pfisterer feierlich eröffnet.

17. Oktober 1996: Das letzte Teilstück der Autobahn N3 von Frick ins Birrfeld wird auf dem Schinznacherfeld von Bundesrat Moritz Leuenberger und dem aargauischen Baudirektor Thomas Pfisterer feierlich eröffnet.

Michael Kupferschmidt / KEYSTONE

Dieses war total 19 Kilometer lang und aufgrund der Tunnels und Überdeckungen ziemlich teuer: 1,17 Milliarden Franken kostete das ganze Projekt. Am offiziellen Festakt mit 600 Gästen lobten Bundesrat Leuenberger und Baudirektor Pfisterer «die nach neuesten Erkenntnissen umweltschonend gebaute Strasse», wie es im Artikel des «Badener Tagblatts» hiess. Die neue Autobahn werde Menschen und Regionen im Aargau verbinden, aber auch Basler und Zürcher einander näherbringen.

 

So berichtete das «Badener Tagblatt» vor 25 Jahren über die Eröffnung des neuen Autobahnteilstücks:

4 Bilder

Auch im Kommentar des «Badener Tagblatts» wird die gewählte Streckenführung gelobt: «Teure Tunnels verhinderten die schreckliche Vision einer Autobahn über den Berg und hoch über dem Aaretal», hiess es darin. Dennoch sei die grosse Euphorie des Autobahnzeitalters verflogen, kommentierte die Zeitung weiter: «Auch die bestmögliche Lösung bedeutet letztlich nur Schadensbegrenzung, wenn ein derart breites Betonband in die Landschaft gelegt werden muss.»

Verzicht auf Halbanschluss Schinznacherfeld

Das lange Ringen um die Autobahnführung offenbarte den Konflikt zwischen den Mobilitätsansprüchen der Gesellschaft und der Schutzbedürftigkeit der Natur aufs Deutlichste. Das erlebten fünf Aargauer Baudirektoren, unter ihnen Regierungsrat Ulrich Siegrist, der nachhaltige Projektverbesserungen erwirkte. Dazu gehörte der Verzicht auf den N3-Halbanschluss Schinznacherfeld, der einen Verkehrs- und Zersiedelungsschub links der Aare verhinderte.

15. Juni 1992: Blick auf die Aaretalbrücke der Nationalstrasse N3 / Autobahn A3, die noch im Bau ist – rechts unten das Thermalbad Schinznach, darüber das Nordportal des Habsburgtunnels, oben rechts Brugg und Windisch.

15. Juni 1992: Blick auf die Aaretalbrücke der Nationalstrasse N3 / Autobahn A3, die noch im Bau ist – rechts unten das Thermalbad Schinznach, darüber das Nordportal des Habsburgtunnels, oben rechts Brugg und Windisch.

Zsolt Somorjai / ETH-Bildarchiv

Zu den bedeutendsten landschaftsschonenden Massnahmen zählten die Rettung des Sagimülitälis – heute ein wertvoller Teil des 2012 gegründeten Juraparks Aargau – und die Erstellung des Viadukts statt eines Damms im Schinznacher Schachen, mit einem neu angelegten aquatischen Lebensraum unter der elegant geschwungenen Brücke.

Den ersten Unfall gab es schon am Tag nach der Eröffnung

Dennoch gab es auch Wermutstropfen bei der Einweihung: Im Kommentar des «Badener Tagblatts» wurde darauf hingewiesen, dass die neue Autobahn zwei Kilometer vor dem nationalen Nadelöhr Baregg in die N1 münde. Mit dem zusätzlichen Verkehr durch die Eröffnung der N3 dürften Staus am Bareggtunnel häufiger werden, prophezeite der Kommentator.

Schon einen Tag nach der Eröffnung musste der Autobahnabschnitt zwischen Frick und dem Birrfeld gesperrt werden: Eine Auffahrkollision zwischen einem Lastwagen und zwei Autos führte dazu, dass der Verkehr rund eine Stunde über den Bözberg umgeleitet werden musste.

Interessant ist ein Vergleich der Verkehrsbelastung auf der damaligen N3 und der heutigen A3. Gemäss einem Artikel des «Aargauer Tagblatts» wies eine Verkehrszählung am Tag nach der Eröffnung, also am 18. Oktober 1996, «mit 1200 Fahrzeugen in der Stunde Richtung Zürich eine dreimal höhere Frequenz aus als in der Gegenrichtung».

Auf Anfrage liefert das Bundesamt für Strassen (Astra) der AZ die Daten der Verkehrszählungsanlage in Effingen, beim Nordportal des Bözbergtunnels, für das Jahr 2019. Dies ist repräsentativer für die tatsächliche Belastung als 2020, weil im Coronajahr der Verkehr phasenweise deutlich zurückging. Für das Jahr 2019 liegen Daten für neun Monate vor, es fehlen die Werte von Februar, August und September.

«Das hängt mit der Inbetriebnahme zusammen: Neue Messstellen müssen eingestellt und angepasst werden», erklärt Astra-Sprecher Thomas Rohrbach. Im Jahr 2019 variierte die tägliche Belastung zwischen 23’199 Fahrzeugen im Januar und 41’613 Fahrzeugen im Oktober. Berechnet man den Durchschnitt der neun Monatswerte, ergibt sich eine tägliche Belastung von 38’295 Fahrzeugen.

Derzeit wird zwischen Effingen und Brugg wieder gebaut, es laufen Unterhaltsarbeiten. Seit Frühling 2020 werden vor allem die elektrischen Anlagen erneuert, was rund 70 Millionen Franken kostet. Die Sanierung soll bis Juni 2022 dauern, deshalb sind in der Nacht immer wieder Fahrspuren gesperrt.

*Hans-Peter Widmer hat den «Autobahnkrieg» um die N3 als Redaktor und Aargau-Chef von «Aargauer Tagblatt» und «Aargauer Zeitung» mitverfolgt.