Sie sind hier: Home > Aargau > Die grüne Revolution in den Aargauer Städten fordert viele Opfer – die Verlierer SVP, FDP und SP müssen sich jetzt neu finden

Die grüne Revolution in den Aargauer Städten fordert viele Opfer – die Verlierer SVP, FDP und SP müssen sich jetzt neu finden

Schon der erste Angriff der Ökoparteien auf die Städte war von Erfolg gekrönt: Grüne und Grünliberale (GLP) eroberten bei den Einwohnerratswahlen Baden und Wettingen im Frühherbst zusammen gleich 11 Sitze (ohne die 8 grünen Sitze von «Team Baden» gerechnet). In Baden reicht das für eine rot-grüne Mehrheit im Parlament.

Letztes Wochenende folgte nun die zweite, noch stärkere Welle. Nach dem Osten des Kantons gingen GLP und Grüne auch gegen Westen auf Sitzejagd in den Einwohnerräten: Windisch plus 8 Sitze, Brugg plus 2, Lenzburg plus 4, Buchs plus 3, Wohlen plus 3 und Aarau plus 6. Alle zehn Aargauer Einwohnerräte zusammengerechnet (inklusive Zofingen und Obersiggenthal) sind das plus 23 Sitze für die Grünliberalen und plus 17 für die Grünen.

Total haben die Ökoparteien neu 95 Parlamentssitze in den Aargauer Einwohnerräten. Ein grüner Erdrutsch.

Die Sitzverteilung in den zehn Einwohnerräten:










Wo Gewinner sind, sind auch Verlierer. Am meisten blutet die SVP mit 15 Sitzverlusten, die SP verliert 8 Sitze, die FDP 7 Mandate, die Mitte 5. Der Trend kommt nicht von ungefähr: Er begann mit den Nationalratswahlen 2019, und angesichts des Dauerthemas Klimawandel ist die Fortsetzung logisch.

Werfen wir einen Blick vor allem auf die Verlierer.

SVP: Schrumpft sich Glarners Partei in der Opposition gesund?

Stark lädiert ging die grösste Partei des Kantons schon aus den Gemeinderatswahlen Ende September hervor. Gleich 23 Gemeinderäte musste sie abgeben. Nach den Niederlagen in Stammlanden und chancenlosen Kandidaturen bei Stadtratswahlen war absehbar, dass es in den Lokalparlamenten kaum besser laufen wird.

In Aarau fällt die SVP mit nur noch 7 Sitzen (minus 3) hinter die Grünen (8, plus 3) zurück. In Baden läuft sie als sechstgrösste Partei nur noch unter «ferner liefen». Wenigstens in der Gemeinde Wohlen kann sich die SVP trotz Sitzverlustes als stärkste Partei behaupten.

Parteichef Andreas Glarner gelobte nach interner Kritik, an seinem Stil zu arbeiten, gleichzeitig kündigte der Nationalrat aber eine aggressivere Gangart in den Städten an. Vor allem in Budget- und Verkehrsfragen will er die SVP als stachelige Opposition positionieren und Volksabstimmungen provozieren (Steuern, Tempolimit, etc.).

Vielleicht findet die SVP geschrumpft wieder in die Spur, im schlechteren Fall droht ihr wie in grösseren Metropolen der Absturz in die urbane Bedeutungslosigkeit. Das kann sich eine Partei mit dem Anspruch einer SVP nicht leisten. Auch Glarner weiss: Die Städte gewinnen politisch noch mehr an Bedeutung. Wer erfolgreich sein will, braucht sie, auch als wertkonservative Partei.

FDP: Auf dem Land hui, in der Stadt pfui

In einem heiklen Rank befindet sich der Freisinn. Noch ist nicht klar, wohin die Fliehkraft ihn zieht. Bei den Gemeinderatswahlen noch als stärkste Partei kantonsweit ermutigt, schwächelt sie in den Städten zunehmend. Die Verluste sind zwar nirgends spektakulär: in Aarau, Baden und Wohlen je minus 2, Brugg minus 1. In der Summe sind 7 Sitzverluste aber beunruhigend für die Freisinnigen.

In den aktuellen Wahlresultaten der Städte zeigt sich das Problem, in dem die FDP steckt: Für Parteiungebundene, die urban, liberal und ökologisch denken, hat die FDP noch kein überzeugendes Angebot. Diese wählen zurzeit im Zweifelsfall Grünliberale oder sogar Grüne. Gleichzeitig wollen die Freisinnigen jene Wähler nicht vergraulen, denen sogar das Aargauer Energiegesetz oder das Schweizer CO2-Gesetz zu weit ging.

Viele in der Partei hoffen nun, dass Thierry Burkart als neuer FDP-Präsident Impulse geben kann, die bis in die Städte ausstrahlen. In einem seiner ersten Statements zu Stadtpolitik zielte Burkart wie SVP-Chef Marco Chiesa auf die rot-grün dominierten Städte: Die FDP sei «die letzte bürgerliche Partei, die jene Menschen in der Stadt erreicht, die nicht in einem staatlich verordneten Umerziehungsbiotop leben möchten», so Burkart im Tagesanzeiger. Welche Wählertypen sich angesprochen fühlen, ist offen.

So oder so: Was für die SVP stimmt, gilt für die Wirtschaftspartei FDP erst recht. Will sie nicht marginalisiert werden, darf sie in den Städten nicht weiter erodieren.

Die SP: Verliererin auf den zweiten Blick

Mit Blick auf die Sache darf sich die SP manchenorts freuen: In Aarau und Baden ist Rot-grün stärker denn je und hat zusammen mit der GLP für ökologische Projekte eine satte Mehrheit. SP-Präsidentin Gabriela Suter betonte denn auch (schon vor dem Wahlwochenende), es gehe nicht darum, dass SP und Grüne einander Wählerinnen und Wähler wegnehmen. Insgesamt bleibt die SP stärkste Kraft in den Einwohnerräten.

Doch bei genauerer Betrachtung passiert genau das, schleichend und einseitig: Die Grünen und wohl auch die GLP nehmen der SP zunehmend einen Teil des Kuchens weg. Nirgends so krass wie in der Gemeinde Windisch, wo die SP 6 Sitze abgeben muss und GLP und Grüne zusammen um deren 8 zulegen. In Aarau und Baden konnte sie ihren Bestand halten.

Aber der Druck auf die Wähleranteile der SP steigt von Wahl zu Wahl. Bei den Nationalratswahlen 2019 konnte die SP im Aargau dank Listenverbindung mit den Grünen noch einen dritten Sitz gewinnen, ein Jahr später bei den Grossratswahlen verlor sie dann aber schon wieder 2,4 Prozent.

Wenn die SP die Resultate in den Einwohnerräten schönreden will, kann sie darauf verweisen, dass die rote Hochburg Windisch ein Spezialfall ist. Möchte sie aber mittelfristig stärkste Kraft im rot-grünen Lager bleiben, muss sie an ihrem Profil arbeiten und sich von Grünen klar unterscheiden. Denn wer ökologisch wählen will, nimmt eher das Original; da kann die SP noch so sehr betonen, genauso viel fürs Klima zu machen.

Die Mitte: In der Findungsphase mit offenem Ausgang

Schwierig einzuordnen ist das Abschneiden der Mitte. Die ehemalige CVP konnte sich auch dank Einbindung der BDP in den nationalen und kantonalen Wahlen stabilisieren. In den Städten tut sich die ehemalige CVP aber schwer. Die fünf Sitzverluste in den zehn Einwohnerräten sind jedenfalls kein Zeichen Richtung Wachstum. Immerhin: In Wettingen bleibt sie stärkste Partei trotz zwei Sitzverlusten, in Wohlen gewinnt sie einen dazu und ist weiterhin zweitstärkste Kraft.

Die Mitte hat ihre Findungsphase noch nicht abgeschlossen. Ihre Rolle in den Städten ist langfristig deshalb besonders offen.

Wie viel ist die Überflieger-Aktie GLP wirklich wert?

Noch ein Wort zu den Siegerinnen: Für die Grünen sind die Städte besonders wichtig. Hier legen sie im Gegensatz zu Landgemeinden mächtig zu. Mittlerweile haben sie total 46 Sitze in den Aargauer Einwohnerräten. Noch sind sie der nette Juniorpartner der grossen SP (total 94). Doch je mehr sich die Wähleranteile angleichen, desto grösser wird der Machtanspruch der Grünen werden, im Zweifelsfall auch auf Kosten der SP.

Und die Grünliberalen?

Sie sind mit 23 zusätzlichen Sitzen in den Einwohnerräten die Überflieger dieses Herbstes. Interessant wird sein, wo sie inhaltlich bei konkreten Stadtprojekten mit den Grünen und der SP paktieren und wo sie sich gegen Links abgrenzen. Noch sind die GLP-Siege eine Art Buchwert, der schneller wächst, als Personal nachrückt (letzteres gilt auch für die Grünen).

Wie viel die GLP-Aktie real und langfristig wert ist, muss sie erst noch beweisen.