
Warum Stephan Attiger gar nichts von der Waldinitiative hält: «Das ist eine Giesskanne, wie es im Buche steht»
Herr Attiger, Sie sind Sohn eines Försters. Welche Beziehung haben Sie zum Wald?
Stephan Attiger: Ich bin von Kindsbeinen an immer wieder und gern im Wald, habe noch nie mehr als zehn Meter vom Wald entfernt gewohnt. Seit ich laufen kann, habe ich eine sehr enge Beziehung dazu. Er war mein erster und schönster Abenteuerspielplatz. Später habe ich für unsere Holzfeuerung im Försterhaus beim Holzen mitgeholfen.
Und heute?
Auch heute nutze und schätze ich ihn sehr. Als Naherholungsgebiet, als Naturoase, als CO2-neutraler, natürlicher Holzlieferant. Ich habe seit meiner Kindheit aber auch den enormen Wandel im Wald hautnah miterlebt.
Inwiefern?
Der Holzpreis ist noch halb so hoch wie vor einigen Jahrzehnten. Diese Entwicklung hat fortwährend zu Effizienzsteigerungen und Restrukturierungen bei den Forstdiensten geführt.
Wo zum Beispiel?
Im Badener Wald waren damals 30 Mitarbeitende beschäftigt, heute sind es noch 4. Aber auch die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen an den Wald haben sich stark gewandelt.
Sie reden vom Freizeitverhalten?
Ja, vor Jahrzehnten stand noch die Holzproduktion im Vordergrund. Über Jahrhunderte war der Wald ja auch eine richtige Cash Cow. Er dient auch heute noch der Holznutzung. Das ist für seine Erneuerung wichtig. Heute spielen aber seine Naturschutz- und Erholungsfunktion eine ebenso wichtige Rolle. Ich schliesse mich da selbst mit ein als regelmässiger Waldspaziergänger und als Biker.
Geben Sie diese Freude am Wald auch Ihren Kindern weiter?
Ja. Der Wald ist für sie ein schöner Spielplatz. Sie nehmen seine ganze Tier- und Pflanzenvielfalt aber viel bewusster wahr als ich damals.
Sie haben eine starke Bindung zum Wald, sagen trotzdem Nein zur Initiative «JA! für euse Wald» Warum?
Um Missverständnisse auszuschliessen: Auch ich und der Regierungsrat sagen ganz klar Ja zum Wald. Bei den drei Funktionen des Waldes gilt: Die Holzernte sollte ihre Kosten selbst decken. Für seine Naturschutzfunktion gibt es bereits Beiträge. Doch stellt sich die Frage, wie wir die Kosten der Freizeitnutzung des Waldes finanzieren.
Wie?
Regierung und Parlament anerkennen, dass man das finanzieren muss. Der Kanton ist aber der falsche Adressat.
Warum, der Wald umfasst doch einen Drittel des Kantonsgebietes?
Ja, und der grösste Teil gehört den Ortsbürgergemeinden. Es ist Aufgabe der Einwohnergemeinden. Es kann doch nicht sein, dass künftig die Waldeigentümer vor Ort mit dem Kanton Vereinbarungen darüber schliessen, was sie lokal genau machen. Die Bedürfnisse sind doch regional sehr unterschiedlich. Am besten kennt man die vor Ort, nicht bei der Kantonsregierung.
Ist das nicht bloss eine Ausflucht, um nicht zahlen zu müssen?
Überhaupt nicht. Schauen Sie, im Limmattal, wo ich herkomme, hat man eher Angst vor einer Übernutzung des Waldes. Da stehen rasch 20 Autos in der Nähe eines Grillplatzes. Im Fricktal dagegen baut man Angebote wie den Chriesiweg auf, um möglichst attraktiv zu sein, was auch sehr gut gelingt. Es ist aber nicht am Kanton, zu sagen, was für diese oder jene Region das Beste ist. Das soll die Einwohnergemeinde entscheiden.
Wer soll also für die Freizeitnutzung zahlen?
Der Wald gehört immer noch überwiegend Ortsbürgergemeinden. Fast der Hälfte von ihnen geht es finanziell sehr gut, sie haben Einnahmen aus Landverkäufen oder Baurechtszinsen. Warum sollte der Kanton also an sämtliche Waldbesitzer nach dem Giesskannenprinzip Geld verteilen?
Es gibt aber auch arme Ortsbürgergemeinden mit Waldbesitz.
Ja. Diese müssen mit der Einwohnergemeinde reden. Da muss diese einspringen. Das machen zahlreiche Gemeinden schon lange so. Es gibt kaum einen Bereich, in dem man für so wenig Geld einen so hohen Nutzen bekommt. Künstlich geschaffene Naturräume im Siedlungsgebiet wie beispielsweise Stadtpärke oder ähnliche Anlagen sind im Vergleich sehr viel teurer.
Sie sagen, viele Gemeinden machen das so. Welche?
Zum Beispiel Küttigen, Stein, Münchwilen, Sisseln, Wettingen, Zofingen und weitere. Soll der Kanton wirklich mit einigen hundert Waldbesitzern Leistungsvereinbarungen treffen, an einem Ort zum Beispiel einen Vitaparcours finanzieren, und dann zeigt sich, dass die Einwohnergemeinde das gar nicht will? Es ist ja auch deren Aufgabe und ihr Recht zu sagen, welche Freizeitnutzung sie im Wald will. Sie kann das auch viel besser. Es gibt keinen Grund, diese Aufgabe an den Kanton zu verschieben.
Die Initianten sagen aber, gerade für Vitaparcours, Feuerstellen etc. sei die Initiative nicht gedacht.
Aber wofür dann? Vorab für Strassen und Wege, wie die Initianten sagen? Die gibt es ja schon, und die braucht auch die Forstwirtschaft, um den Wald zu bewirtschaften. Soll der Kanton künftig Geld für etwas zahlen, das es schon gibt? Oder werden dann die Waldstrassen ausgebaut, was wohl niemand will? Ich glaube, dass mit diesem Geld tendenziell das Freizeitangebot im Wald ausgebaut würde. Aber ich bin nicht sicher, ob die Leute das wollen. Vielerorts wird der Wald nämlich bereits sehr stark freizeitlich genutzt. Oder kostet es am Schluss einfach 25 Franken pro Person oder 16 Millionen Franken aus der Staatskasse, obwohl diese an einem strukturellen Defizit leidet, und im Wald ändert sich überhaupt nichts?
Aber dass der Wald mehr Geld braucht, das unterschreiben Sie?
Ja, wir sind ja bereit, gesetzlich verlangte Aufgaben aufwandgerecht zu finanzieren. Eine regierungsrätliche Vorlage, die noch vor der Volksabstimmung als eine Art indirekter Gegenvorschlag zur Initiative im Grossen Rat behandelt wird, sieht genau das vor. Damit will der Kanton zwei Millionen Franken mehr für den Wald ausgeben.
Und wenn der Grosse Rat ablehnt?
Dafür habe ich keinerlei Anzeichen. Der Auftrag dafür kam ja vom Grossen Rat. Der Regierungsrat hat sich auch nicht dagegen gewehrt. Denn dieses Begehren ist berechtigt. Der Betrag ist schon im Budget eingestellt, und die zuständige Fachkommission des Grossen Rates unterstützt das Vorhaben.
Aber 25 Franken jährlich pro Einwohner wollen Sie nicht geben?
Nein, das ist ein falscher Ansatz. 25 Franken pro Einwohner sind zudem ein Giesskannenbetrag, wie er im Buche steht …
…der aber nur aufgrund von Leistungsvereinbarungen fliesst…
…ja, aber was soll ich tun? Im Gesetz steht «mindestens 25 Franken». Die muss ich ausgeben. Wenn die Vereinbarungen nicht genügen, muss ich halt die Anforderungen an solche Vereinbarungen senken. Das Geld kann ja nicht ewig in einem Fonds schlummern. Aber das kann es nicht sein! Ein Frankenbetrag im Gesetz ist sowieso falsch. Zudem berücksichtigt der neue Finanzausgleich räumlich-strukturelle Besonderheiten einer Gemeinde, wie Wald und viele Strassen. Wenn dieser Ausgleich nicht genügen sollte, kann man ihn anpassen. Aber der Weg, den die Initianten einschlagen, ist falsch.
In manchen Gemeinden hat man Angst, nach einem Ja zur Initiative gebe es vom Kanton eine Rechnung.
Dies beruht auf einer Bestimmung. Demnach muss bei einer Aufgabenverschiebung vom Kanton zu den Gemeinden oder umgekehrt die entlastete Seite dies finanziell abgelten. Ich sehe in der Initiative in der Tat eine Aufgabenverschiebung von den Gemeinden zum Kanton.
Die Initianten halten dagegen, die Kriterien dafür seien nicht gegeben.
Das müsste man nach einem allfälligen Ja zur Initiative politisch diskutieren. Wie gesagt, für mich ist es eine Aufgabenverschiebung, die dem Kanton abgegolten werden müsste. Es gibt aber keinen Beschluss dazu, die Regierung hat das auch noch nicht diskutiert.
Wie es dem Aargauer Wald geht, lesen Sie hier.
Darum geht es in der Waldinitiative
Die Aargauerinnen und Aargauer entscheiden an der Urne über die Initiative «JA! für euse Wald» des Branchenverbandes Wald Aargau. Dieser sammelte dafür 10 568 gültige Unterschriften. Ziel ist, dass der Kanton für den Wald jährlich zweckgebunden mittels Leistungsvereinbarungen 16 Millionen Franken beziehungsweise mindestens 25 Franken pro Einwohnerin und Einwohner zahlt. Heute sind es knapp 7 Franken pro Einwohner. Faktisch sollen die Beiträge also fast vervierfacht werden. Die Regierung lehnt das ab. Sie will stattdessen die Försterleistungen künftig vollständig abgelten, womit der Kanton neu knapp 10 Franken pro Einwohner und Jahr oder rund 6,5 Millionen Franken bezahlen würde.