
Wasser in neun Gemeinden ist zu stark mit Pestiziden belastet – Grünen-Grossrat fordert Auskunft
Vor ein paar Monaten kannten wohl nur Trinkwasserexperten, Pestizid-Hersteller und Chemiker den Begriff Chlorothalonil. Inzwischen ist das Pflanzenschutzmittel allgemein bekannt, Ende September teilte der Bundesrat mit, bei einer zu hohen Konzentration im Trinkwasser könne eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden.
Ende Oktober ergab eine Untersuchung des Kantons, dass der Chlorothalonil-Wert in jeder achten Gemeinde zu hoch war. Bei insgesamt 211 Gemeinden wären demnach 26 betroffen – welche dies sind, gab das kantonale Amt für Verbraucherschutz aber nicht bekannt.
Schon Ende Juli wurden zwei Wasserfassungen vom Netz genommen, weil die Chlorothalonil-Werte zu hoch waren. Auch damals weigerten sich die Kantonsbehörden, die Namen der betroffenen Gemeinden bekanntzugeben.
Die Gemeinden seien selber verantwortlich dafür, die Wasserqualität zu messen und die Einwohner zu informieren, hiess es beim Kanton. Eine Auswertung der AZ zeigt: Knapp 70 Aargauer Gemeinden haben ihr Trinkwasser auf Chlorothalonil untersucht und die Ergebnisse publiziert.
In mindestens neun Fällen waren die Werte zu hoch, betroffen sind Aarau, Dintikon, Unterkulm, Obersiggenthal, Rietheim, Wohlen, Merenschwand, Villmergen und Waltenschwil. Mehr als zwei Drittel der Aargauer Gemeinden haben die Resultate nicht publiziert. Deshalb bleibt vorerst offen, welches die 18 weiteren Gemeinden mit zu viel Chlorothalonil im Wasser sind.
Grünen-Grossrat will umfassende Informationen zur Belastung
Vor diesem Hintergrund hat Grossrat Hansjörg Wittwer (Grüne) am Dienstag im Kantonsparlament einen Vorstoss eingereicht. Darin fragt er den Regierungsrat unter anderem, welche Wasserfassungen im Kanton durch Pflanzenschutzmittel oder Abbauprodukten belastet oder gefährdet seien.
Wittwer schreibt, eine vom Bund und den Kantonen durchgeführte Messkampagne mit dem Titel «NAQUA2» zeige, dass Rückstände von Pflanzenschutzmitteln die Grundwasser-Qualität nachhaltig beeinträchtigen.
Die Zahl der Messstellen, wo Pestizide oder Abbauprodukte im Grundwasser nachgewiesen werden, liegt in der Studie klar über 50 Prozent. «Da sich Grundwasser lange im Untergrund aufhält und dort künstliche Substanzen kaum abgebaut werden, wird man problematische Stoffe nur schwer wieder los», hält Wittwer fest.
Er weist darauf hin, dass grundsätzlich das Verunreinigungsverbot gelte. «Es ist untersagt, Stoffe in ein Gewässer einzubringen oder versickern zu lassen, welche Wasser verunreinigen können», erklärt Wittwer. Auch das Ablagern oder Ausbringen solcher Stoffe sei untersagt, wenn dadurch die Gefahr einer Verunreinigung des Wassers entstehe.
Die Gewässerschutzverordnung schreibe zudem vor, dass Grundwasser generell keine künstlichen, langlebigen Stoffe enthalten solle. Trotzdem sei die Vielfalt an Fremdstoffen im Grundwasser mit rund 100 Substanzen enorm. Wittwer folgert daraus: «Offenbar wird diesem Grundsatz nicht nachgelebt.»
Studien zeigen: Pestizide sind auch in Bächen problematisch
Der Grünen-Grossrat macht sich nicht nur Sorgen um die Trinkwasserqualität, sondern auch um die Belastung von Bächen und kleinen Flüssen im Aargau. «Forscher finden Pestizid-Cocktail in der Surb» – das meldete das Bundesamt für Umwelt vor fünf Jahren.
Basis für den alarmierenden Befund war damals eine Untersuchung von fünf mittelgrossen Fliessgewässern in den Kantonen Aargau, Solothurn, Thurgau, Waadt und Zürich durch das Wasserforschungsinstitut der ETH (Eawag). Die Forscher kamen damals zum Schluss, dass die Bäche in der Schweiz mit zahlreichen Pestiziden belastet sind.
«Zu viele Pflanzenschutzmittel in kleinen Bächen» – so lautet das Ergebnis der Untersuchung, die im Frühling dieses Jahres publiziert wurde. Zwei neue Studien der Eawag und des Oekotoxzentrums zeigten, dass Gewässer in landwirtschaftlich genutzten Einzugsgebieten stark mit Pflanzenschutzmitteln belastet sind.
«Konzentrationen einzelner Stoffe stellen über Monate hinweg ein Risiko für chronische Schäden dar und liegen längere Zeit über Werten, die für Pflanzen und Tiere im Wasser ein akutes Risiko bedeuten», teilte das Bundesamt für Umwelt mit. In den meisten Wasserproben wurden 30 oder mehr Wirkstoffe gemessen – dieses Gemisch ist gefährlich für Fische und andere Wasserlebewesen.
Gelten die Studienergebnisse auch für die Aargauer Bäche?
Untersucht wurde diesmal kein Bach im Aargau – dennoch nimmt Wittwer in seinem Vorstoss auf die Studie Bezug. Analysiert wurden Gewässer in Schaffhausen, Thurgau, Basel-Land, Bern und Waadt.
Deshalb will Wittwer wissen, ob die Ergebnisse der Studie auch für den Zustand der Bäche im Aargau gelten. «Ich gehe davon aus, dass dies so ist, aber ich möchte Klarheit», sagt der Grossrat auf Anfrage.
«Früher gab es schäumende Flüsse wegen den Waschmittel-Rückständen, inzwischen scheint die Wasserqualität von aussen betrachtet gut zu sein», sagt Wittwer. Heute seien die Verunreinigungen nicht mehr sichtbar, aber sehr wohl noch vorhanden.
Das dürfte laut dem Grünen-Grossrat auch im Aargau gelten, er hat Hinweise darauf, dass zum Beispiel die Uerke und die Suhre stark belastet sind. «Ich habe den Eindruck, dass wir das Problem in den letzten Jahren verdrängt oder verschlafen haben, dabei ist es akut», sagt er.
Auf dem Umweltdaten-Portal des Kantons lassen sich heute schon Messwerte von Stationen in Bächen und Flüssen abrufen. Die letzten Angaben sind fast ein Jahr alt, sie stammen vom 5. Dezember 2018. Ausgewiesen werden Stoffe wie Nitrat, Phosphor, Chlorid, oder Ammonium – aber weder Chlorothalonil noch andere Pflanzenschutzmittel.
Hansjörg Wittwer reicht dies nicht, er verlangt von der Regierung auch Auskunft über die Pestizide in Fliessgewässern. Zudem will er wissen, nach welchen Pflanzenschutzmitteln in Gewässern sowie im Grund- und Trinkwasser des Kantons standardmässig gesucht werde. Schliesslich fragt der Grossrat: «Was unternimmt die kantonale Behörde zum Schutz von Grundwasser und Oberflächengewässern vor Pflanzenschutzmitteln?»