Wer ist wie grün im Aargau? Das grosse Umweltrating sorgt für Knatsch

Vier Umweltverbände (vgl. Box) haben anhand von 18 Geschäften für die Parteien im Grossen Rat ein Umweltrating erstellt. Darin schwingen die Grünen obenaus, gefolgt von der SP, und mit etwas Abstand von GLP und EVP. Am Schluss sind SVP und EDU (Tabelle).

Die Kriterien für die Auswahl der 18 Geschäfte für das Rating seien ihr schleierhaft, dieses sei sehr einseitig, kritisiert SVP-Fraktionschefin Désirée Stutz: «Daraus kann man auf keinen Fall den Schluss ziehen, dass die SVP nicht für Umweltschutz ist.»

SVP: Was hat Rotlichtblitzer mit der Umwelt zu tun?

Das Rating habe für sie keine Aussagekraft. Wie begründet sie das? Es sei ihr beispielsweise völlig unerklärlich, sagt die Fraktionschefin, «was ein Vorstoss unseres früheren Grossrats Martin Keller gegen einen festinstallierten Rotlichtblitzer in einem Umweltrating zu suchen hat. Da besteht kein Zusammenhang.» Unklar sei auch, warum nur einige Geschäfte, und warum gerade diese, ins Rating kamen. Ihr Fazit lautet: «Das Rating ist oberflächlich, selbstgestrickt und intransparent.»

Der grüne Fraktionschef Robert Obrist nimmt hingegen das Rating mit Genugtuung zur Kenntnis. Das sei ein gutes Orientierungsinstrument für die Wählerinnen und Wähler: «Es bildet die Realität ab. Beim Energiegesetz etwa zeigte sich, dass die SVP kein Bewusstsein für die Klimakrise hat.» Dass die GLP im Rating mit einigem Abstand hinter den Grünen ist, erklärt er sich so, dass diese nicht nur grün, sondern mitunter auch wirtschaftsliberal sei. Dass die GLP für ihr Nein im Grossen Rat zum Energiegesetz (sie wollte ein schärferes Gesetz) «wie die SVP ein Minus bekommt, finde ich aber nicht fair».

«GLP weniger grün als national? Das ist Quatsch»

«Dass die GLP so weit hinter Grünen und SP rangiert und im Aargau auch noch deutlich weniger grün sein soll als national (dort kam die GLP auf 91 Prozent), ist Quatsch», sagt Fraktionschefin Barbara Portmann. Ihr Eindruck sei, «dass es so herausgekommen ist, wie es offenbar herauskommen musste».

Wie kommt sie darauf? Im Grossen Rat haben fünf der sieben GLP-Grossräte das Energiegesetz abgelehnt, weil es ihnen zu wenig weit ging. Portmann ärgert sich: «Jetzt wird uns das negativ angelastet wie der SVP, die aber aus völlig anderen Gründen ablehnte!» Der Antrag, das GLP-Nein anders zu werten, sei aber leider abgelehnt worden.

Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht

Überhaupt sei sehr viel «Grünes» im Grossen Rat auf dem Mist der GLP gewachsen, findet sie: etwa der neue Entwicklungsschwerpunkt Klima der Regierung. Dazu seien von der GLP Vorstösse zu Gewässerschutz, Lichtverschmutzung, Mikroplastik und mehr eingereicht worden. Portmann: «Wir sind wohl in gewissen Dingen pragmatischer, aber sicher nicht weniger grün.»

Gut gemeint und gut gemacht, sei nicht dasselbe, kritisiert auch EVP-Fraktionschef Uriel Seibert das Rating. Die EVP wolle gut gemachte Lösungen. Deshalb hätten «mehrere radikale und nur schwerlich umsetzbare Vorstösse im Umweltbereich» nicht ihre Unterstützung gefunden, sagt er. Das tiefere Rating der EVP lasse sich hauptsächlich mit der Datenerhebung erklären, sagt Seibert.

Grosses EVP-Engagement für umweltfreundlicheren Verkehr

Das Engagement für die Umwelt in Kommissionsdebatten oder via Vorstösse, über die nicht der Rat abstimmte (unbestrittene Entgegennahmen, Interpellationen) sowie sämtliche Abstimmungen in Spreitenbach seien nicht ins Rating eingeflossen. Mit einer solch kleinen Datenmenge führe nur schon die Ablehnung weniger – aus EVP-Sicht in der Umsetzung fragwürdiger – Vorstösse zu grösseren Einbussen in der «Umweltfreundlichkeit». So gebe es ein grosses EVP-Engagement für umweltfreundlicheren Verkehr, für die Biodiversität, das durch im Rating nicht abgebildete Vorstösse erfolgt sei, so Seibert.

Was sagt dazu Tonja Zürcher, Geschäftsführerin des WWF? Die Intervention der GLP wegen der Energiegesetzwertung sei zu spät gekommen, sagt sie, aber: «Wir hätten es nicht ändern können, denn am Schluss muss man Ja oder Nein sagen. Wir können nur solche Entscheide ins Rating aufnehmen. Nur so ist es objektiv, auch wenn die Gründe der GLP für das Nein (das die Basis später in ein Ja gedreht hat) andere gewesen sind als die der SVP.» Für das Rating der GLP sei diese Abstimmung aber auch nicht matchentscheidend gewesen.

Vorstösse zu Klimaschutz, Artenschutz, Mobilität

Weil das Rating nur funktioniere, wenn abgestimmt wird, könne man auch stillschweigend überwiesene Vorstösse nicht aufnehmen, sagt Zürcher zur EVP-Kritik: «Wir sind überzeugt, dass wir thematisch eine ausgewogene Auswahl gefunden haben. Wir haben bewusst nicht nur Klimavorstösse aufgenommen, sondern auch viele zum Artenschutz und Mobilität. Das Rating ist repräsentativ, wobei es in mehreren Fraktionen starke Abweichungen in beide Richtungen gibt.» Zürcher betont, dass GLP und EVP, die zwar nicht in der Topgruppe sind, gut unterwegs seien.

Zur Kritik der SVP an der Aufnahme des Rotlichtblitzer-Vorstosses ins Rating sagt sie: «Rotlicht- und Geschwindigkeitskontrollen sind wichtig für die Verkehrssicherheit und damit für die Förderung von Fuss- und Veloverkehr.»

WWF und drei weitere sind dabei, aber nicht Pro Natura

Die Umweltorganisationen BirdLife, WWF, VCS und NWA (Nie weder AKW) haben für die Grossratswahlen das Umweltprofil der Mitglieder des Grossen Rats bewertet. Und zwar von 2017 – 2020 anhand «von 18 umweltrelevanten politischen Geschäften», wie sie in einer Mitteilung schreiben. Die Abstimmungen in Spreitenbach fanden aber aus Zeitgründen keinen Eingang mehr. Bis jetzt haben zudem knapp 200 Grossrats-Kandidierende «ein Umweltversprechen abgegeben», wie es weiter heisst. Grüne und SP haben Umweltanliegen mit sehr wenigen Abweichungen unterstützt. Diese könne man «mit gutem Gewissen als umweltfreundlich bezeichnen».
GLP und EVP hätten im Schnitt bei fast Dreivierteln der Vorlagen für die Umwelt gestimmt. Da sei aber die Bandbreite in den Fraktionen gross. Auffällig sei, dass beide im Vergleich zur Auswertung von 2019 (nationales Parlament) schlechter abschneiden, ergänzt WWF-Geschäftsführerin Tonja Zürcher.CVP, BDP und FDP stimmten laut Rating bei rund der Hälfte der umweltpolitischen Entscheidungen im Interesse der Umwelt. SVP und EDU bilden die Schlusslichter, «die sich fast immer gegen die Umwelt aussprachen», wie es in der Mitteilung weiter heisst.Auf der Mitteilung fehlt das Logo von Pro Natura. Man habe aufgrund der Auswahl und Wertung der Fragen für das Rating den Eindruck gewonnen, «dass die daraus abgeleiteten Ratings eine ökologische Politik für Natur und Umwelt im Aargau nicht umfassend und schlüssig abbilden, weshalb wir bei diesem Rating nicht mitgemacht haben», bestätigt Matthias Betsche, Geschäftsführer Pro Natura Aargau, der selbst für die GLP in den Grossen Rat will. Man mache aber künftig gern mit. Umweltratings seien an sich ein gutes und bewährtes Instrument.Dass Pro Natura Aargau nicht mitmacht, sei schade, sagt Tonja Zürcher: «Wir würden uns freuen, wenn nächstes Mal alle grossen Umweltverbände dabei wären.» (mku)