Wie ein Freiämter Leopard die Bundesrichter auf Trab hielt

Papageien, Kakadus und Frettchen sind beliebt

Exotische Tiere faszinieren – auch im Aargau. Das war schon vor mehr als fünf Jahrzehnten nicht anders, als Garagist Erwin Eckert in Windisch zwei Wildkatzen in einem Gehege hielt. Die Jaguare – passend zur angebotenen Automarke – machten ihn weitherum bekannt. Die Faszination für wilde Tiere hält bis heute an, wie aus dem Jahresbericht des Aargauer Veterinärdiensts hervorgeht. Nach wie vor sei das Interesse an der Haltung von Wildtieren gross, «obwohl sie grosses Fachwissen voraussetzt und mit viel Aufwand verbunden ist». 116 neue Bewilligungen wurden im letzten Jahr ausgestellt. Eine Nachfrage bei Kantonstierärztin Erika Wunderlin zeigt: Am häufigsten wurden Ziervögel wie Aras (Grosspapageien) bewilligt, gefolgt von Reptilien wie Giftschlangen, Leguanen oder Chamäleons sowie Frettchen. «Es sind 244 aktive Wildtierhaltebewilligungen erfasst – davon sind 229 auf Privathalter ausgestellt», schreibt Wunderlin in ihrer Antwort. Insgesamt dürften es rund 300 Bewilligungen sein, weil wegen einer Umstellung auf ein neues Datenerfassungsprogramm noch nicht alle regulär registriert werden konnten. Wer im Kanton Aargau exotische Tiere halten will, muss bestimmte Anforderungen erfüllen. Im Fall von Giftschlangen wie Vipern müssen die Halter über einen Sachkundenachweis verfügen und die Tiere so unterbringen, dass diese nicht entweichen können. (Mbü/AZ) 

Der Schauplatz ist Besenbüren, ein 600-Einwohner-Dorf im Freiamt. Hier lebt der pensionierte Elektromonteur und Baugeschäftsinhaber Otto Russi. Aber nicht alleine: Seit 1978 schaffte er sich insgesamt drei Leoparden an. Die dritte Wildkatze namens Ravi ist der tragische Protagonist dieser Geschichte. Gewöhnlich streifte der Leopard Ravi in seinem 70 Quadratmeter grossen Gehege im Garten herum, das er friedfertig mit dem Schäferhund Ferry teilte. Aber Otto Russi war mit Raubkatze und Hund auch regelmässig auf Spaziergängen in den Wäldern der Gegend anzutreffen.

Der Rentner band sich dabei ein drei Meter langes Seil, mit dem der Leopard gesichert war, um den Körper und befestigte es mit einem Karabinerhaken an seinem Gurt. Das war seit 1978 immer gut gegangen – bis zum 5. Dezember 1998.

Verbotene Spaziergänge

Bei einem Waldspaziergang kommt es zum folgenschweren Zwischenfall. Hinter einer entgegenkommenden Reiterin springt plötzlich ein frei laufender Hund auf das ungewöhnliche Trio zu. Ravi packt den Hund und verbeisst sich in dessen Bauch.

Der Hund überlebte zwar. Aber das Veterinäramt des Kantons Aargau verhängte als Folge im Januar 1999 mit der erneuten Erteilung der alle zwei Jahre zu erneuernden Wildtierhaltebewilligung strenge Auflagen: Spaziergänge mit Leopard Ravi waren für Russi fortan verboten. Es war der Anfang eines fünf Jahre dauernden Rechtsstreits.

Otto Russi hatte kein Verständnis für den Entscheid: «Die Leute haben sich längst an den Leoparden gewöhnt.» Er war fest davon überzeugt, dass die Wildkatze keine Gefahr ist und ging daher weiter mit Ravi im Wald spazieren: «Ich habe ihn unter Kontrolle, es kann nichts passieren.»

Gang vors Bundesgericht

Gegen die Verfügung des Veterinäramtes reichte er Beschwerde ein und kämpfte sich bis vors Bundesgericht. Dieses kam aber ebenfalls zum Schluss, «dass die umstrittenen Spaziergänge mit einem nicht vertretbaren (Rest-)Risiko für die Bevölkerung und andere Tiere verbunden sind» und bestätigte im Juli 2003 endgültig das Verbot von Spaziergängen mit dem Leoparden.

All das wollte Russi nicht wahrhaben: Er ging weiterhin mit Ravi in den Wald und wurde deswegen im Herbst 2003 beim Veterinäramt angezeigt. Noch während die Behörden den Vorwurf untersuchten, war der Leopard plötzlich verschwunden. Das Gehege in Otto Russis Garten war leer.

Hat er Ravi getötet?

Was war passiert? Anfang Oktober soll der Leopard erneut einen Hund verletzt haben. Der Hundehalter reichte damals aber weder Anzeige ein, noch wollte er sich gegenüber der AZ zum Vorfall äussern.

In der Region kursierten danach hartnäckige Gerüchte, dass die Raubkatze nach dem letzten Zwischenfall gar nicht mehr am Leben sei. Bis heute ist nicht klar, was aus dem Leoparden Ravi geworden ist. Die traurige Ironie für den illegalen Spaziergänger Russi: Sollte er seine Wildkatze selber getötet haben, so wäre dies legal gewesen. (Elia Diehl/AZ)