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Rita Brem hat zwar kein Rezept gegen die Trauer, aber eine Box voller guter Ideen

Wenn ein naher Angehöriger stirbt, dann wird die Welt der Hinterbliebenen aus den Angeln gehoben. Die Trauer füllt alles aus, nichts ist mehr, wie es war. Mit der neuen Lebensrealität zurechtzukommen, ist schwierig. Manche Menschen schaffen es ohne Hilfe, viele aber zählen in dieser schwierigen Situation auf Rita Brem. Die 61-Jährige aus Oberwil-Lieli ist so etwas ein Profi, wenn es um Trauer, Abschied und Neubeginn geht. Sie sagt:

«Jeder trauert auf seine Art, es gibt kein Rezept, wie man es richtig macht.»

Diese Worte können tröstlich sein für jene Angehörigen, die nach dem sogenannten Trauerjahr nicht aus dem seelischen Tief herauskommen. Das sei normal und gehöre zum Trauerprozess, bestätigt sie: «Alles andere wäre nicht normal.»

Vom Bauernbetrieb auf die Kanzel

Rita Brem lebte viele Jahre gemeinsam mit ihrer Familie in Hermetschwil-Staffeln, wo sie sich in verschiedenen Vereinen engagierte. Damals führte sie noch keine Trauergespräche. Aber gemeinsam mit zwei weiteren Frauen aus dem Dorf trat sie die Nachfolge des Benediktinerpaters an, der bis zu seiner Pensionierung die Gottesdienste in der Gemeinde hielt.

Sie erzählt: «Der Pater war der Meinung, dass wir dafür geeignet wären, und fragte uns an, ob wir das Amt übernehmen würden.» Die Frauen besuchten die entsprechenden Kurse und gestalteten fortan die Gottesdienste der katholischen Kirchgemeinde. Die Kirchgänger schätzten ihre Art, den Gottesdienst zu führen, und bald erhielt Brem die Anfrage, eine Abdankung zu halten. Sie kommentiert lächelnd: «Und so kam eins zum andern.»

Einfache Rezepte mit grosser Wirkung

Mittlerweile sind fünfzehn Jahre vergangen, Rita Brem hat eine Ausbildung zur Fachfrau Trauerbegleitung und Abschiedsfeiern absolviert und lebt mit ihrem Ehemann auf dem elterlichen Betrieb in Oberwil-Lieli. Der Bauernbetrieb liegt fernab des Dorfes an einem Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Die Nähe zur Natur schätzen auch die Menschen, die zu Rita Brem kommen. Sie erzählt:

«Manchmal fällt es leichter, wenn man auf einem Spaziergang über die Gefühle spricht, die einen beschäftigen.»

Manchmal müsse man die Stille zulassen oder seine Wut laut herausschreien. «Auch das geht, hier oben hört das kein Mensch», sagt sie lachend. Denn nebst der Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen sei es auch ganz normal, dass man sich wütend, verletzt oder ganz einfach hilflos fühle. «Es kann helfen, wenn man seine Gefühle in einem Brief niederschreibt und diesen dann verbrennt.»

Eine Memory-Box für die Kinder

Rita Brem hat in ihren vielen Berufsjahren vieles gesehen und gehört. In eindrücklicher Erinnerung blieb ihr der Besuch eines alten Mannes, der sterbenskrank war und um ein Gespräch bat. Sie erzählt:

«Er berichtete mir Dinge, die er vorher noch niemandem anvertraut hat. Er hat Furchtbares erlebt und wollte dies vor seinem Tod loswerden. Nachdem er fertig war, war ich sprachlos. Wir sassen zehn Minuten einfach schweigend da.»

Später erfuhr sie von den Hinterbliebenen des Mannes, dass er nach diesem Gespräch richtiggehend aufgeblüht sei. Dies deckt sich mit ihrer Erfahrung, dass viele Sterbende nochmals alles Schwere und Belastende durchleben, um dann für die letzte Reise bereit zu sein.

Manchmal aber bleibt keine Zeit zum Abschiednehmen. Wie etwa bei jenem Familienvater, der bei einem Unfall aus dem Leben gerissen wurde. Brem erzählt: «Die grosse Sorge der drei kleinen Kinder war, dass sie ihren Vater einst vergessen könnten.» Diese Befürchtung nahm sie in die Trauerrede auf und forderte die Freunde und Bekannten des Mannes auf, bei ihren künftigen Besuchen bei der Familie von den Erlebnissen mit dem Verstorbenen zu berichten. Kürzlich meldete sich die Mutter bei ihr und erzählte begeistert, dass sie schon eine ganze Schachtel voller Fotos und Erinnerungen an den verstorbenen Vater füllen konnten.

Diese Box nimmt die Familie immer dann hervor, wenn sie Sehnsucht oder Trauer überkommt. Sich diesen Gefühlen hinzugeben, sei wichtig, betont Brem. Noch wichtiger sei aber das Bewusstsein, dass die Trauer nicht einfach aufhöre, sondern einen das Leben lang begleite.