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Wenn die Hinterbliebenen sich streiten: Reto Wassmer, Leiter des Bestattungsamtes, hat auch das schon erlebt

Reto Wassmer, der Leiter des regionalen Zivilstandsamtes, führt auch das Bestattungsamt für die Gemeinde Wohlen. Wenn im Dorf jemand verstirbt, dann wenden sich die Angehörigen an ihn oder jemandem aus seinem Team. Wassmer bringt die Dienstleistung des Amtes in einem Satz auf den Punkt: «Wir koordinieren alles rund um die Beerdigung.»

Gemeinsam mit den Angehörigen geht er eine Checkliste durch, die vom Transport des Verstorbenen über die Aufbahrung und Beerdigung auch die Abdankung und die Art der Beisetzung festhält. Das sind viele Entscheidungen, welche die Hinterbliebenen treffen müssen.

Wassmer sagt: «Wir weisen jeweils im ersten Telefongespräch auf die wichtigsten Punkte hin. Die Mehrheit der Angehörigen ist sehr gefasst, wenn sie zu uns kommen, und sie haben bereits im Familienkreis die Details abgesprochen.» Er ergänzt:

«Wenn man mehrere Angehörige am Tisch hat, dann merkt man bald, wie die Stimmung innerhalb der Familie ist.»

Auch schon hätten sich Geschwister gezankt, und es sei zu wüsten Szenen auf dem Bestattungsamt gekommen. In diesem Fall weiss sich Wassmer aber zu helfen: «Ich habe sie freundlich aus dem Büro gewiesen und sie aufgefordert, wiederzukommen, wenn sie sich einig sind.»

Beerdigungen, an denen keiner teilnimmt

Er schätzt, dass gegen 95 Prozent der Verstorbenen eingeäschert werden. Erdbestattungen gehören mittlerweile zur Ausnahme. Das Angebot auf dem Wohler Friedhof hat man diesem Trend angepasst. Die Urnen können in eine Nische, ein Plattengrab oder in ein herkömmliches Grab eingelassen werden.

Reto Wassmer auf dem Wohler Friedhof. 

Günstig ist das Sterben nicht. Wassmer berichtet von Kindern oder nahen Angehörigen, die sich nach dem Tod ihrer Eltern prompt melden und jegliche Kostenbeteiligung ausschlagen. Er sagt: «In solchen Fällen bezahlt die Gemeinde.» Nachdenklich stimmen den erfahrenen Berufsmann jene Verstorbenen, die keine Hinterbliebenen mehr haben und zu deren Beerdigung – welche die Gemeinde organisiert und finanziert – auch gar niemand erscheint.

Er berichtet von einer älteren Frau, der eine Freundin versprach, sich dereinst um ihre Beerdigung zu kümmern. Doch so weit kam es nicht. Die Freundin verlor wenige Tage später ihre Mutter und sah sich ausser Stande, beide Beerdigungen zu regeln. Wassmer kommentiert trocken:

«Die Urne steht nach wie vor beim Bestatter. Die Freundin hat sich nicht mehr gemeldet, irgendwann wird die Gemeinde wohl die Beerdigung organisieren müssen.»

Was es bedeutet, wenn Ehepaare ihre Erbschaftsangelegenheiten nicht regeln, davon kann Wassmer mittlerweile ein Lied singen. Für die Hinterbliebenen kann dies mitunter schwerwiegende Folgen haben. Wassmer berichtet von einem kinderlosen Ehepaar, das davon ausging, dass der hinterbliebene Partner automatisch die Eigentumswohnung erbt. Dem war nicht so. Die Neffen und Nichten pochten auf ihren Anteil, und die Witwe musste die Eigentumswohnung verkaufen.

Die eritreische Gemeinde legte ihr Geld zusammen

Doch nicht alle Geschichten müssen so traurig enden. Wassmer berichtet vom Tod eines Asylbewerbers aus Eritrea, der in Wohlen lebte. In Eritrea werden Verstorbene nicht kremiert. Als die Angehörigen des Verstorbenen erfuhren, dass der junge Mann kremiert werden sollte, versuchten sie mit allen Mitteln, dies zu verhindern.

Stimmungsbilder vom katholischen Friedhof in Wohlen.

Per Mail meldeten sie sich und drohten mit rechtlichen Schritten, sollte ihr Angehöriger in der fernen Schweiz eingeäschert werden. Wassmer teilte ihnen mit, was eine Erdbestattung kostet. Danach hörte er lange nichts mehr. Doch am Tag, als die Kremation stattfinden sollte, meldeten sich die Angehörigen der eritreischen Gemeinde. Wassmer erzählt:

«Sie sicherten zu, sämtliche Kosten für die Erdbestattung und die Grabpflege zu übernehmen. Einige Tage später überreichten sie in mir den ganzen Betrag in bar.»

Wassmer arbeitet seit 27 Jahren im Zivilstandsamt, und obwohl er schon vieles erlebt hat, fliessen auch bei ihm manchmal die Tränen. Dies besonders dann, wenn er die Verstorbenen gekannt hat oder wenn es sich um Schicksalsschläge handelt. Er kommentiert: «Für Tränen muss man sich nicht genieren.»