
Zu hohe Hürden oder kein Interesse? Nur wenige lassen sich im Aargau erleichtert einbürgern
Letztes Jahr wollten sich schweizweit im Kanton Aargau am meisten Ausländer der dritten Generation erleichtert einbürgern lassen. So stammten 232 von insgesamt 897 Gesuchen, die 2020 beim Bund eingereicht wurden, aus dem Aargau, wie die NZZ am Sonntag berichtete. 2017 sagten die Stimmberechtigten Ja zur erleichterten Einbürgerung; auch der Kanton Aargau wollte mit 53,2 Prozent, dass Personen der dritten Generation einfacher die Staatsbürgerschaft erhalten.
Die dritte Generation hat damit seit 2018 die Möglichkeit, beim Bund und nicht im Kanton oder der Gemeinde ein Gesuch für den roten Pass zu stellen. Dafür dürfen die Bewerber nicht älter als 25 sein, müssen eine Aufenthaltsbewilligung ihrer Grosseltern und einen Beweis, dass ihre Eltern während mindestens fünf Jahren die obligatorische Schule in der Schweiz besucht haben, vorweisen.
Nur 20 Prozent im Aargau stellten ein Gesuch
Die Einbürgerung über den Bund ist günstiger und die Gesuchstellenden brauchen die Wohnsitzfrist des Kantons nicht zu erfüllen. Im Aargau müssen Ausländer vor der Gesuchstellung mindestens fünf Jahre im Kanton und drei Jahre ununterbrochen in der gleichen Gemeinde gewohnt haben. Damit gehört der Aargau zu einem der strengsten Kantone bezüglich Wohnsitzpflicht. Der Kanton Waadt etwa verlangt nur zwei Jahre im Kanton, Zürich zusätzlich zwei in der Gemeinde.
Dies ist denn auch eine der Erklärungen, weshalb überdurchschnittlich viele Gesuche aus dem Aargau stammen: Weil die ordentliche Einbürgerung hohe Hürden mit sich bringt, wählt die dritte Generation eher den Weg der erleichterten Einbürgerung.
Doch auch diesen Weg geht nur eine Minderheit. Laut einer Studie des Bundes hätten in den Jahren 2010 bis 2014 3360 Personen der dritten Generation im Aargau die Voraussetzungen für die erleichterte Einbürgerung erfüllt. Heute dürfte diese Zahl höher liegen. Seit 2018 stellten aber nur 697 ein Gesuch. Das heisst, nur etwa ein Fünftel der Personen, die erleichtert einen Schweizer Pass beantragen könnte, hat es tatsächlich auch gemacht.
Warum lassen sich nicht mehr erleichtert einbürgern?
Den Grund, dass nur eine Minderheit versucht, sich erleichtert einbürgern zu lassen, sehen Experten in den hohen Anforderungen. Oftmals sei es kompliziert, an die verlangten Dokumente, wie die Aufenthaltsbewilligung des Grossvaters, zu kommen. Gerade Jugendliche würden dann häufig aufgeben. «Die erleichterte Einbürgerung ist nicht leicht», sagt SP-Grossrätin Lelia Hunziker. Sie kritisiert die hohen Hürden für die dritte Generation:
«Es ist keine Einladung mitzumachen. Man muss sich vorstellen: Das sind Menschen, deren Grosseltern teilweise schon in der Schweiz geboren wurden. Das sind Schweizerinnen und nun müssen sie sich dieser Prüfung unterziehen und auf Gnade hoffen.»
Die Erklärung der hohen Hürde findet Mitte-Grossrätin Susanne Voser nicht plausibel: «Wenn man weiss, in welcher Gemeinde die Grossmutter gelebt hat, dann ist das eine einfache Sache, das Dokument zu besorgen.» Die tiefe Gesuchsrate hat auch sie erstaunt: «Ich hätte mir gewünscht, dass sich mehr Personen aus dem Aargau melden. Die dritte Generation ist hier daheim und soll dazugehören.» Voser glaubt, dass für viele Jugendliche der Schweizer Pass gar nicht so wichtig ist:
«Die Jungen heute sind so mobil, die Staatsbürgerschaft ist nicht mehr das Grösste aller Dinge.»
Laut des Bundesamtes für Statistik gaben 2014 knapp 64 Prozent der Ausländer in der Schweiz zwischen 15 und 24 an, sich einbürgern lassen zu wollen. Dabei steigt die Absicht von der ersten zur zweiten Generation um mehr als zehn Prozentpunkte. Bei der dritten Generation ist keine Absicht erfasst.
Voser sieht das Problem an anderer Stelle und spricht das Informationsvideo des Bundes an. Ein Trickfilm erklärt den Vorgang der erleichterten Einbürgerung, die Sprache ist einfach: «Das spricht die Jugendlichen nicht an, es müssten ein paar Jugendliche vor die Kamera, um die Zielgruppe zu motivieren.» Auf Kantonsebene plädiert sie für bessere Information an den Schulen: So soll im Staatskundeunterricht auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht werden.
Dass Kanton oder Gemeinden besser informieren oder gar motivieren sollen, das findet SVP-Grossrat Christoph Riner dezidiert nicht:
«Wenn jemand Schweizer werden will, dann muss er das Interesse selber aufbringen. Es ist eine Bringschuld.»
Er erachtet es auch als richtig, dass die Einbürgerung eine gewisse Hürde darstellt: «Man darf dafür noch etwas verlangen. Wenn das jemand wirklich will, dann schafft er das.»
Bei Italienern und Türken ist der Schweizer Pass am beliebtesten
Bei den Gesuchen für die erleichterte Einbürgerung aus dem Aargau stechen zwei Bevölkerungsgruppen heraus. So haben mit Abstand am meisten Personen mit italienischer Staatsbürgerschaft einen Antrag gestellt. An zweiter Stelle folgt die Türkei. Das erstaunt nicht, kamen in den 60er- und 70er-Jahren vor allem Italiener als Gastarbeiter in die Schweiz. Zwischen 1960 und 1970 stieg auch die Zahl der türkischen Immigranten. Sie siedelten sich vor allem in Zentren der Maschinen- und Textilindustrie an, wozu auch der Aargau gehört. An dritter Stelle der gesuchstellenden Nationalitäten steht der Kosovo. 544 Personen aus dem Aargau waren seit 2018 erfolgreich und erhielten durch die erleichterte Einbürgerung den Schweizer Pass.