Sie sind hier: Home > Aargau > Hürzelers geheime Unterlagen zum Bez-Entscheid: Warum die Schule mit der Bestnote verschwindet – diese Punkte werfen Fragen auf

Hürzelers geheime Unterlagen zum Bez-Entscheid: Warum die Schule mit der Bestnote verschwindet – diese Punkte werfen Fragen auf

Das Schulhaus Schützenmatte in Klingnau: Heute werden hier Bezirks- und weitere Oberstufenschüler unter einem Dach unterrichtet. Das Schulhaus kann auf dieser (und der anderen) ausgebaut werden – trotzdem machte der Kanton einen Abzug beim Erweiterungspotenzial.

Vor einem Jahr entschied der Regierungsrat, dass die Bezirksschule Klingnau ab Schuljahr 2022/23 aufgehoben wird. Die Standorte in Bad Zurzach, Endingen und Leuggern bleiben bestehen. Der Kanton liess den Kirchspielgemeinden die Wahl zwischen dem bisherigen Standort Leuggern und Kleindöttingen als neuem Standort. Der Entscheid fiel einstimmig für Leuggern. Thomas Angst von der Schulpflege der betroffenen Oberstufe Unteres Aaretal sprach von einem «politischen Entscheid», Schulleiter Franco Corsiglia von einem «unverständlichen Entscheid».

Aufgrund der zu tiefen Schülerzahlen im Zurzibiet stand fest, dass mindestens ein Standort aufgegeben werden muss. Nötig war der Kantonsentscheid, weil sich die Gemeinden nicht auf eine Lösung einigen konnten. Das zuständige Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS) von Alex Hürzeler (SVP) nahm eine «kriteriengestützte Analyse» vor und führte eine Vernehmlassung bei den Gemeinden durch.

Im Jahr 2014 entschied der Grosse Rat, dass pro Bezirksschulklasse neu mindestens 18 statt 14 Schüler unterrichtet werden müssen. Deshalb müssen Bezirksschulen spätestens ab Schuljahr 2022/23 diese Schülerzahlen aufweisen. Mittlerweile gilt, dass an einem Bez-Standort mindestens 108 Schüler unterrichtet werden müssen, egal, wie sie auf die einzelnen Klassen verteilt sind.

Um welche Kriterien es sich handelte und wie sie gewichtet wurden, machten Hürzeler und das BKS nicht transparent – das blieb ein grosses Geheimnis. Die betroffenen Gemeinderäte und Schulpflegemitglieder durften zwar beim BKS in Aarau die Unterlagen einsehen, wurden aber angehalten, sich nicht öffentlich zum Inhalt zu äussern. Daran hielten sie sich.

Die AZ hat die Unterlagen beim BKS mittlerweile gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten. Die Analyse zeigt: Die Bez in Klingnau erhielt die besten Noten. Doch durch eine Abstimmung unter den Gemeinden kippte das Resultat. Es fiel hauchdünn aus. Doch mehrere Bewertungen des BKS werfen Fragen auf (siehe weiter unten).

So ging das BKS bei der kriteriengestützten Analyse vor

Das BKS legte erst sieben Varianten mit drei oder zwei Bez-Standorten im Zurzibiet fest (siehe Box unten). Dazu kamen vier weitere Untervarianten, bei denen eine Bez in Klingnau oder Leuggern zu Gunsten eines neuen Standorts in Kleindöttingen/Böttstein gestrichen worden wäre.

Das BKS setzte dabei auch auf die Variante B2 (Kleindöttingen), die in der Vernehmlassung des Planungsverbands Zurzibiet Regio nicht berücksichtigt worden war. Dieser Standort war im Rahmen des Projekts Oberstufe Aaretal (OSA) Ende 2017 am Nein von zu vielen Gemeindeversammlungen gescheitert.

Das sind die elf Varianten

• Variante A: Wegfall von Leuggern/Beibehaltung von Bad Zurzach, Endingen und Klingnau• Variante B1: Wegfall von Klingnau/Beibehaltung von Bad Zurzach, Endingen und Leuggern• Variante B2: Wegfall von Klingnau und Leuggern/Beibehaltung von Bad Zurzach und Endingen/Neuerrichtung von Böttstein (Kleindöttingen)• Variante C1: Wegfall von Endingen/Beibehaltung von Bad Zurzach, Klingnau und Leuggern• Variante C2: Wegfall von Endingen und Leuggern/Beibehaltung von Bad Zurzach und Klingnau/Neuerrichtung von Böttstein (Kleindöttingen)• Variante D1: Wegfall von Bad Zurzach/Beibehaltung von Endingen, Klingnau und Leuggern• Variante D2: Wegfall von Bad Zurzach und Leuggern/Beibehaltung von Endingen und Klingnau/Neuerrichtung von Böttstein (Kleindöttingen)• Variante E: Wegfall von Klingnau und Leuggern/Beibehaltung von Bad Zurzach und Endingen• Variante F: Wegfall von Bad Zurzach und Leuggern/Beibehaltung von Klingnau und Endingen • Variante G1: Wegfall von Bad Zurzach und Klingnau/Beibehaltung von Leuggern und Endingen• Variante G2: Wegfall von Bad Zurzach, Klingnau und Leuggern/Beibehaltung von Endingen/Neuerrichtung von Böttstein (Kleindöttingen)

Das Resultat der kriteriengestützten Analyse

Bei der kriteriengestützten Analyse liegt Variante A mit Bad Zurzach, Endingen und Klingnau vorne, gefolgt von den Varianten B1 mit Bad Zurzach, Endingen und Leuggern sowie B2 mit Kleindöttingen statt Leuggern.

So sehen die Varianten in der Grafik aus:

So hat das BKS die Punkte für die elf Varianten verteilt:

Damit stand bereits fest: Die Bez-Standorte in Bad Zurzach und Endingen bleiben bestehen. Der letzte Standort musste aus Klingnau, Kleindöttingen/Böttstein oder Leuggern bestimmt werden.

Die Abstimmung unter den Gemeinden

Das BKS führte nun eine Vernehmlassung bei den Gemeinden durch – samt einer Abstimmung. Auch dies hatte das BKS nicht öffentlich gemacht.

So stimmten die Gemeinden zu den drei Varianten ab:

Je 13 Gemeinden votierten für Variante A (Klingnau) oder eine der zwei B-Varianten, wobei sich einzig Böttstein und Döttingen für B2 (Standort Kleindöttingen) aussprachen, elf für B1 (Leuggern). Die Variante mit Klingnau wurde also von den meisten Gemeinden auf den Spitzenplatz gehievt.

Abstimmung: Bewertung gegenüber dem Oberen Seetal geändert

Der Kanton musste schon im Oberen Seetal einen Bez-Entscheid fällen. Auch diesen Bericht hat die AZ gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten. Hier mussten die Gemeinden auch abstimmen, konnten aber bei drei zur Auswahl stehenden Varianten nur ihre Favoritin angeben. Wäre das BKS im Zurzibiet gleich vorgegangen wie im Oberen Seetal, wäre nicht Klingnau, sondern Leuggern gestrichen worden.

Die Zurzibieter Gemeinden mussten die drei Varianten aber auf Platz 1 bis 3 setzen. Das BKS wertete dafür jeweils zwei, einen und null Punkte. Variante A (Klingnau) erhielt durchschnittlich 1,00 Punkte pro Gemeinde, B1 (Leuggern) 1,23 und B2 (Kleindöttingen) 0,77 Punkte. Zählt man diese Punkte zum Total der Kriteriengestützten Analyse, liegt Variante A mit 6,0833 Zählern vorn, vor B1 (6,0633) und B2 (5,32).

BKS geht auf Forderung einer Minderheit ein

Doch in der Vernehmlassung forderte eine Minderheit von zehn Gemeinden, dass die Punkte der «betroffenen Gemeinden» höher gewichtet werden sollen. So schrieb der Gemeinderat von Böttstein mit Ammann Patrick Gosteli (SVP), Grossrat und mittlerweile Präsident der Aargauer Gemeindeammänner:

«Bei der Vernehmlassung sind jene Gemeinderückmeldungen höher zu gewichten, welche direkt von Änderungen betroffen sind. Dort, wo sich nichts ändert, sollen die Rückmeldungen reinen ‹Zur-Kenntnisnahme-Charakter› haben. Im Weiteren hat die Gewichtung entsprechend der Einwohnerzahl zu erfolgen. So haben zum Beispiel Böttstein und Döttingen zusammen über 8100 Einwohner.»

Direkt betroffen waren einerseits die drei Gemeinden Klingnau, Döttingen und Koblenz, deren Schüler in der Bez Klingnau unterrichtet werden, sowie die sechs Gemeinden Böttstein, Leuggern, Mandach, Full-Reuenthal, Leibstadt und Schwaderloch, deren Schüler die Bez in Leuggern besuchen.

Das BKS ging auf diese Forderung ein und gab den «betroffenen» Gemeinden eine doppelte Stimmkraft. Damit wendete sich das Blatt: Variante A (Klingnau) fiel auf den dritten Rang zurück.

Der Regierungsrat habe sich «bei seiner Entscheidfindung am vergleichbaren, bewährten Prozess im Zusammenhang mit der Reduktion der Bezirksschulstandorte im Oberen Seetal» orientiert, schreibt BKS-Sprecherin Simone Strub Larcher auf Anfrage zum geänderten Vorgehen. «Dabei wich er jedoch bewusst teilweise vom damaligen Vorgehen ab, um dem Grundsatz der Gleichbehandlung, nach dem Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln ist, gerecht zu werden.» Und weiter: «Im Sinne des Verhältnismässigkeitsprinzips wurden im Rahmen der Auswertung dieser Vernehmlassung die Stellungnahmen der einzelnen Gemeinden aufgrund ihrer unterschiedlichen Betroffenheit auch unterschiedlich gewichtet.»

Fehler und irreführende Zahlen in der Analyse

Die AZ hat die kriteriengestützte Analyse des Departements Bildung, Kultur und Sport (BKS) samt Punktevergaben näher beleuchtet. Dabei stechen einige Punkte ins Auge: Fehler und irreführende Schulwegzahlen.

1. Abzug beim Erweiterungspotenzial der Bez Klingnau

Das BKS hat das Erweiterungspotenzial der Bez Klingnau, anders als Kleindöttingen und Leuggern, mit einem von zwei möglichen Punkten bewertet (siehe Tabelle oben). Es erwähnt im Bericht zur Analyse, dass zum Erweiterungsvorhaben zurzeit ein Projektwettbewerb laufe. «Die Auswirkungen des Erweiterungsbaus auf das Freihaltegebot gemäss Inventar schützenswerter Objekte Schweiz (ISOS) wurden noch nicht überprüft. Aus Sicht der Abteilung Raumentwicklung Kanton Aargau wird nicht vorweg ausgeschlossen, dass ein untergeordneter, zurückhaltend gestalteter Erweiterungsbau in der Flucht des bestehenden Schulhauses mit dem Freihaltegebot gemäss Inventar schützenswerter Orte vereinbar ist.»

Bereits im März 2020, also vor dem Entscheid des Kantons, kürte die Wettbewerbsjury das Siegerprojekt, das die Erweiterung in besagter Richtung (Mülihof) um bis zu acht Schulzimmer sowie Nebenräume vorsieht – und mit ISOS vereinbar ist. «Die Realisierbarkeit des Siegerprojekts wurde von der kantonalen Denkmalpflege und der Abteilung Raumentwicklung bestätigt», sagt der Klingnauer Bauverwalter Martin Geiger auf Anfrage. Doch unabhängig davon: Auch ein Ausbau des Schulhauses auf der anderen Seite der Dreifachturnhalle wäre möglich, ohne in Konflikt mit ISOS zu geraten. Warum hat das BKS trotzdem einen Abzug gemacht? Das BKS antwortet der AZ nicht auf diese Frage.

2. Berechnung der Velowege

Velowege von über 30 Minuten (Durchschnitt von Hin- und Rückweg) hat das BKS negativ bewertet. Als Zurzibieter wundert man sich allerdings, dass diverse Fahrzeiten über diesem Wert liegen, so Koblenz-Bad Zurzach, Full/Reuenthal-Klingnau, Klingnau-Endingen oder Mandach-Leuggern.

Google Maps kommt dagegen auf Werte unter 30 Minuten. Von Full nach Klingnau sind es rund 16 Minuten, bei Reuenthal 24 Minuten. Auch die Werte, welche die Region für das gescheiterte Projekt Oberstufe Aaretal (OSA) erhoben hatte, liegen deutlich unter den BKS-Zahlen.


Im Oberen Seetal hatte das BKS auch auf die von der Region selbst erhobenen Zahlen vertraut. Für das Zurzibiet hat es dagegen die Zahlen von Schweiz Mobil verwendet. Dieses geht von einem gemächlichen Durchschnittstempo von 15 km/h aus. Leichte Höhenunterschiede wirken sich markant aus.

Martin Utiger, Fachexperte von Schweiz Mobil, sagt auf Anfrage: «Die Grundeinstellung mit Tempo 15 km/h ist für Touren von vier bis sechs Stunden Dauer ausgelegt. Steigungen sind deshalb stark berücksichtigt worden. Bei kürzeren Strecken, beispielsweise einer halbstündigen Fahrt, ist man deutlich schneller am Ziel.» Zum Vergleich: Der TCS geht bei einer stündigen Velofahrt in gemächlichem Tempo von 18 km/h aus.

Schweiz Mobil weist für Mandach–Leuggern 41 Minuten Fahrzeit aus. Die Verantwortlichen des OSA-Projekts kamen dagegen auf 20 Minuten, so wie Google Maps auch. Diese langen Schulwege des BKS haben massive Auswirkungen auf die Berechnung: Die Varianten A und B2 erhalten so nur einen statt zwei Punkte.

3. Berechnung der ÖV-Schulwege

Bei der Berechnung der Schulwege mit dem öffentlichen Verkehr (ÖV) kommt es zu teils irreführenden Fahrzeiten nach Klingnau. Nämlich dann, wenn Schüler per Bus zum Bahnhof Döttingen fahren und dort für die Zwei-Minuten-Zugfahrt nach Klingnau umsteigen würden. Das lange Warten auf den Anschlusszug macht allerdings keinen Sinn: Denn der Fussweg vom Bahnhof Döttingen zur Schule Klingnau ist nur unwesentlich weiter als von der Bahnstation Klingnau aus. Und fast gleich weit wie jener von der Kleindöttinger Bushaltestelle Zentrum zur dortigen Oberstufe.

Ein Beispiel: Für die Fahrt Mandach–Klingnau rechnet das BKS mit 39 Minuten – das ist länger als von Klingnau zum Hauptbahnhof Zürich. Dabei beträgt die Fahrzeit nach Döttingen nur 16 Minuten, wie auch der Mandacher Gemeinderat in seiner Stellungnahme schreibt. Die Verantwortlichen des OSA-Projekts hatten auch schon solche langen Umsteigezeiten berücksichtigt (die AZ berichtete).

Fusswege von Bahnhof Döttingen und Bahnstation Klingnau zur Bez Klingnau sowie von Busstationen in Kleindöttingen zur Oberstufe Kleindöttingen:

Dazu kommt: Für die Fahrt von Würenlingen aus verwendet das BKS unterschiedliche Abfahrtsorte. In Richtung Endingen den Bahnhof Siggenthal-Würenlingen, in Richtung Klingnau eine Busstation im Dorfzentrum. Bei Koblenz wählt das BKS den ausserhalb des Zentrums gelegenen Bahnhof statt die Bahnstation mitten im Dorf, den das Gros der Schüler nutzt.

Berücksichtigt man diese Punkte, käme Variante A auch in dieser Kategorie auf zwei statt einen Punkt. Zwei Punkte erhielten die Standorte nur bei einem öV-Schulweg von maximal zehn Minuten. Einen Punkt bis 15 Minuten. Laut Bundesgerichtsurteil ist ein Schulweg von 40 Minuten zumutbar.

4. Variante C2 kommt zu schlecht weg

Variante C2 mit den Standorten Bad Zurzach, Klingnau und Kleindöttingen liegt nach der kriteriengestützten Analyse auf Platz 4. Würde sie wie Variante A bei der möglichen Erweiterung der Bez Klingnau sowie beim ÖV-Schulweg die volle Punktzahl erhalten, würde vor der Abstimmung der Gemeinden Platz 2 einnehmen. Wie die Gemeinden abgestimmt hätten, muss offen bleiben. Klar ist aber: Weil B2 beim Velo-Schulweg ein zusätzlicher Punkt zusteht, hätte es die später siegreiche Variante B1 mit Leuggern nicht in die Endauswahl geschafft.

Das BKS hat sich auf Anfrage nicht zu diesen vier Punkten geäussert.

Die Unterlagen des Kantons zu den Bezirksschul-Entscheiden Zurzibiet und Oberes Seetal können Sie mit Klick auf die Links hier herunterladen:

Bericht_Standortentscheid_Zurzibiet.pdf

Beilage_1_zu_Bericht_Standortentscheid_Zurzbiet_Initiale_Loesungsvarianten.pdf

Beilage_2_zu_Bericht_Standortentscheid_Zurzbiet_Berechnungen_Kriteriengestuetzte_Analyse.pdf

Beilage_3_zu_Bericht_Standortentscheid_Zurzbiet_Stellungnahmen.pdf

Beilage_4_zu_Bericht_Standortentscheid_Zurzbiet_Auswertung_Vernehmlassung.pdf

Bereinigter Bericht Festlegung Bez-Schulstandorte Oberes Seetal.pdf