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Medizin-Ethikerin Tanja Krones: «Gibt moralische Pflicht zum Impfen»

Während die Coronazahlen erneut stark steigen, wird auch eine Impfpflicht wieder breiter diskutiert. So hat etwa Österreich beschlossen, dass ab 1. Februar 2022 landesweit ein Impfobligatorium gilt. Eine Impfpflicht für die Schweiz werde auch in der NEK diskutiert, sagte Medizin-Ethikerin Tanja Krones am Samstag in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung». «Ich halte es zwar für eher unwahrscheinlich, dass eine gesetzliche Impfpflicht in der Schweiz eingeführt wird – doch vollständig ausgeschlossen ist sie nicht.» Die NEK hat sich bereits im Februar gegen ein Impfobligatorium ausgesprochen.

Die Ethikkommissionen der Schweiz, Österreich und Deutschland hätten sich kürzlich getroffen. Dabei seien sie sich einig gewesen, dass es «eine moralische Pflicht zur Impfung gibt». Diese bestehe darin, dass man nicht nur für sich selber Verantwortung trage, sondern ein Stück weit auch für andere. Allerdings müsse man unterscheiden zwischen dem Wunsch, die meisten Menschen zu schützen, und dem Wunsch, den Menschen frei entscheiden zu lassen. «Die meisten liberalen Staaten gewichten die Freiheit des Individuums höher als den Schutz der Allgemeinheit», sagt die leitende Ärztin Klinische Ethik am Universitätsspital Zürich.

Impfpflicht gefährdet die Gesellschaft

Ausserdem glaubt Krones nicht, dass sich mit einer Impfpflicht genügend Leute impfen lassen. Sie sorge sich vor allem um die sozial vulnerablen Menschen, die in der Schweiz etwas vergessen worden seien – etwa Menschen in prekären sozialen Lagen oder psychisch Kranke. «Wir wissen, dass es andere Lebenswirklichkeiten gibt – auch in der Schweiz kann es schwierig sein, in ein Impfzentrum zu kommen.» Genau diese Menschen würden mit einer Impfpflicht erneut Nachteile erleiden und für etwas bestraft werden, für das sie gar nichts können. «Die Ungleichheit würde also verschärft, und der Nutzen ist fraglich.»

Für sie ist klar: «Mit einer allgemeinen Impfpflicht würden wir die Gesellschaft meines Erachtens gefährden und womöglich noch nicht einmal das Ziel einer höheren Impfquote erreichen.» Auch eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wie Pflegepersonal oder Lehrpersonen hätte unerwünschte Nebeneffekte. «Wenn nun diese wichtigen Arbeitskräfte brüskiert werden und womöglich sogar gekündigt werden, weil sie sich nicht impfen lassen, hat die Gesellschaft mehr verloren als gewonnen», sagt die Medizinethikerin.

Die Gesellschaft befinde sich in «einem schmerzhaften moralischen Dilemma». Man müsse einen deutlichen Appell formulieren, das ethisch Richtige zu tun und sich impfen zu lassen. «Aber wir müssen auch die Gesellschaft zusammenhalten, komme, was wolle.» (abi)