
Der langweiligste Opa der Welt
Letzten Samstag im Auto mit meiner Frau und einer Bekannten. Ich erwähnte, dass unsere Enkelin das Wochenende bei uns verbringen würde. Die Bekannte fragte: «Und, was macht ihr?». Mir fiel – was so gut wie nie vorkommt – einfach keine Antwort ein.
Natürlich hatte ich schon verstanden: sie wollte wissen, was wir mit der Kleinen unternehmen. Ausflug oder so etwas, verstehen Sie? Karussell, Ponys, Zuckerwatte, Böötlifahren, Enten füttern, in ein Restaurant essen gehen oder auf den Gemüsemarkt oder den Spielplatz.
Unsere Enkelin ist gut anderthalb Jahre alt. Ich nenne sie Yeti, weil sie diese flauschigen Kapuzenjäckli und Mützen mit Ohren dran dermassen liebt, dass man ihr die Dinger manchmal nicht mal zum Schlafen ausziehen kann. Und natürlich auch, weil sie ein mysteriöses Wesen ist. Als Yeti an diesem Samstagnachmittag zu uns kam, hatte ich mir fest vorgenommen, ausnahmsweise nicht der langweiligste Opa der Welt zu sein. Die Worte der Bekannten klangen in meinem Ohren nach und ja, ein klein wenig hatte sich ein schlechtes Gewissen in meinem Oberstübchen eingenistet. Nur, weil für mich selber «etwas unternehmen» nicht mehr bedeutet als Altglas entsorgen, Lebensmittel oder neue Filzstifte kaufen, muss ich ja nicht dafür sorgen, dass unser Yeti ähnlich langweilige Wochenenden verbringt. Einen Plan hatte ich zwar keinen, aber ich war willig, «etwas zu machen» mit dem Yeti, ich schwör’s!
Das Problem war lediglich: Der Yeti hatte noch einige Dinge zu erledigen, bevor wir «etwas machen» konnten: Zuallererst musste sie ganz dringend die Swarowski-Kristalle an den Fenstern überprüfen und die indischen Götterstatuen. Dann wollte sie am Arven-Kissen in ihrem Bettchen riechen und ganz oft «mmmmhh» sagen. Die Plüschtiere mussten einzeln begrüsst und gefüttert werden. Danach wollte Yeti meine Frau, die ein wenig auf ihrer Shrutibox spielte und dazu Mantras sang, mit der Flöte unterstützen, bevor sie inbrünstig und laut «Om» zu singen begann, und zwar in vielen, vielen verschiedenen Tonlagen. Wenig später warteten die schönen Steine auf der Terrasse darauf, vom Yeti in die richtige Ordnung gebracht werden, was einige Zeit in Anspruch nahm, denn der Yeti ist verdammt penibel, wenn es um die richtige Ordnung geht. Ich hege den leisen Verdacht, dass sie die Ordnungs-Kriterien während des Ordnens fortwährend ändert. Dann signalisierte sie dem Opa, dass es höchste Zeit wäre für ein wenig Schoggo und weil sie ganz genau weiss, dass der Opa immer ein wenig Schoggo rausrückt, auch wenn er nicht sollte, legte sie den Zeigfinger auf die Lippen und sagte in verschwörerischem Ton «schhhhhhht». Nach der Schoggo blieb keine Zeit zum Faulenzen, die Nachbarschaft musste nach Büsis abgesucht werden. Das funktioniert zum Glück am besten von der Terrasse aus. Frische Luft gibt Hunger und so verlangte der Yeti lauthals nach «Pipas», gesalzenen Sonnenblumenkernen, die meine Frau für sie schälen sollte. Dann zeigte sie auf den CD-Player. Nun musste der Opa eine CD einlegen und sich dann sofort zu den Boxen begeben, weil da der kleine Yeti bereits darauf wartete, dass die Abdeckung abgenommen wurde, damit man die Hände auf die vibrierenden Lautsprecher legen konnte. Die Spatzenkolonie, die im Baum gegenüber nistet, wollte auch mit altem Brot versorgt werden. Dann war die Inspektion der Duftöle, die meine Frau in einer grossen Box aufbewahrt, an der Reihe. Nachdem wir an allen ungefähr 500 Fläschchen gerochen hatten, musste der Opa in die Küche, um das Nachtessen vorzubereiten. Das findet der Yeti immer sehr aufregend, weil sie alles, was der Opa kleinschnippelt, probieren kann. Am liebsten mag sie rohe Zwiebeln. Irgendwann gab‘s Znacht. Dann wollte der Yeti unbedingt in die Badewanne, als meine Frau am Duschen war. Nach dem Baden wurde das Pyjama montiert.
Da war eindeutig der Punkt erreicht, an dem es zu spät war. Zu spät, um «etwas zu machen», meine ich. Welcher kranke Sadist geht abends um acht mit einer Anderthalbjährigen in den Ausgang? Eben! Aber nächstes Mal machen wir garantiert etwas!