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Lob der Reparatur

Wer bis jetzt, nach knapp zwei Jahren, noch nicht aus dem Homeoffice ins Büro zurückgekehrt ist, wird wohl noch ein Weilchen zuwarten: Vielleicht beschert uns ja die Omikron-Variante bald einen zweiten Lockdown. Diese Aussicht dürfte auch den grössten Fans der Heimarbeit keine Freude machen, denn obwohl der Wechsel seinerzeit überraschend gut aufgenommen wurde – endlich ungestört arbeiten, schlagartig ein paar Stunden mehr Freizeit, scheinbar grenzenlose Flexibilität – sehen wir die Sache heute doch etwas nüchterner.

Unser Tagesablauf ist unterdessen wieder fremdbestimmt durch eine endlose Abfolge von Online-Sitzungen. In unserer Mailbox hat es immer mehr mitten in der Nacht und am Sonntag abgeschickte Geschäftsmails. Die neu gewonnene Freizeit ist plötzlich zur Arbeitszeit geworden. Und richtig Feierabend machen ist irgendwie auch schwierig, wenn der Arbeitsplatz und das Sofa nur ein paar Schritte auseinanderliegen. Die Heimfahrt im vollen Zug mag lästig sein, der Abstecher in die Migros kurz vor halb sieben stressig, aber immerhin hatten wir damit eine klare Zäsur zwischen Arbeitstag und Freizeit.

Im Homeoffice ist es schwer, diese Linie zu ziehen. Der Griff zum Feierabendbier ist ein beliebtes Ersatzritual, das aber auf die Dauer etwas ungesund ist. Mein Feierabendritual ist eine halbstündige Sendung über die Restauration von Dingen.

In der Sendung geben Menschen einen geliebten, aber defekten Gegenstand in einer Scheune ab, in der ein halbes Dutzend freundlicher Handwerksleute an Werkbänken herumhantiert. Zuerst wird der sentimentale Wert des zerschlissenen Rattansessels oder der zerbeulten Tuba erläutert. Dann wird gedrechselt, geschliffen, gebohrt, genäht und poliert und bei der Rückgabe des in neuem Glanz erstrahlenden Objektes fliessen oft Tränen der Rührung – gelegentlich auch meine.

Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit, in der wir pausenlos mit Sonderangeboten bombardiert werden, in dieser nie abreissenden Parade von Konsumgütern, die wir kaufen und idealerweise innert Jahresfrist wieder wegschmeissen sollen, um uns dann wieder mit neuem Zeug einzudecken, ist es besonders schön, dabei zuzuschauen, wie Dinge eben nicht weggeworfen, sondern erneuert werden. Zwar wird dem Thema seit dem Aufkommen von Repaircafés wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt, aber ob das auch wirklich etwas verändert hat an unserer Wegwerfkultur, ist fraglich.

Ich könnte mir vorstellen, dieses Jahr einen Teil meines Budgets für Weihnachtsgeschenke in einem Handwerksbetrieb auszugeben. Wieso nicht für einmal die antike Kommode mit neuen Beschlägen ausstatten, dem zerfledderten Lieblingsbuch einen neuen Einband verpassen, dem einäugigen Teddybären das Augenlicht zurückgeben oder den durchgesessenen Fauteuil neu polstern lassen?

Umgekehrt könnte ich mir zum Beispiel einen Gutschein vom Änderungsatelier wünschen, damit ich nach zwei Jahren Büro-Snacks aus dem heimischen Kühlschrank meine Lieblingshose wieder anziehen kann.