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Aufstieg und Fall von Migros-Regionalfürst Anton Gäumann: «Er hat verbrannte Erde hinterlassen»

Der Fall Anton Gäumann hat einen schalen Beigeschmack. Er sei über Aufträge an seine Frau gestolpert, habe gegen die Migros-Governance-Vorschriften verstossen, heisst es von der Migros Aare. Ein Whistleblower habe dem unterdessen abgesetzten CEO der Regionalgenossenschaft das Bein gestellt – im übertragenen Sinn natürlich. Aber wer ist dieser Gäumann überhaupt? Wie tickt er? Und warum soll ihm einer ein Bein stellen?

Wir haben mit aktuellen und ehemaligen Wegbegleitern gesprochen, in Archiven gewühlt, nachgefragt. Auch bei Anton Gäumann selbst, der aber zurzeit nichts sagen möchte. Er wurde als Sohn eines Milchhändlers und Käsers in Steffisburg unweit des Thunersees geboren. Was er da mitbekam, so Gäumann einst in einem Sonntagsgespräch mit Radio SRF, sei die Tatsache, dass der Kunde im Mittelpunkt stehe.

Vom Käsersohn zum Migros-General – der Aufstieg von Anton Gäumann

Oft wäre er nach der Schule lieber mit seinem Bruder Fussball spielen gegangen. Stattdessen half er seinem Vater auf dem «Milchkehr», beim Ausliefern der Milch also. Der Fokus sei schon richtig gewesen so, sein Talent im Fussball kleiner gewesen als in anderen Bereichen, so Gäumann damals im Radio-Interview. Immerhin für zwei Jahre Inter-A beim FC Thun reichte es.

Anton Gäumann hat den Bau des Prestigeprojekts Bern Westside geleitet. (Bild von 2007)

Karriere aber machte der grosse, breitschultrige Berner Oberländer anderswo. Nach einer kaufmännischen Lehre in einem Fotofachgeschäft und einer Zweitlehre im Detailhandel wechselt er im April 1986 zur Migros. Er arbeitet sich hoch, vom Einkäufer im Bereich Unterhaltungselektronik zum Marketingleiter Supermarkt, zum Architekten der Fusion der zwei Genossenschaften Migros Bern und Migros Aargau/Solothurn zur Migros Aare, der grössten der zehn regionalen Migros-Genossenschaften. 2001 wird er Geschäftsleitungsmitglied, orchestriert dann den Bau des Prestigeprojekts Bern Westside und wird 2016 CEO der Migros Aare.

Bei der Eröffnung des Einkaufs- und Freizeitcenters Westside 2008 im Westen von Bern lässt sich Gäumann mit der damaligen Berner Baudirektorin und heutigen Nationalrätin Regula Rytz und dem ehemaligen, mittlerweile verstorbenen Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät ablichten. 

Parallel zum Beruf der Aufstieg im Militär. Bis zum Oberstleutnant Artillerie schafft er es, rund fünf Jahre seines Lebens leistet er Dienst am Vaterland. Eine Zeit, die ihn geprägt hat, das sagen alle, die ihn kennen.

Manche nennen ihn einen «Militärkopf», mit Sicherheit prägt das Militär seinen Führungsstil. Man brauche eine dicke Haut, wenn man mit ihm zusammenarbeite. Gäumann ist direkt, manchmal laut, zum Teil auch verletzend. Wie ein Bulldozer habe er über Leute hinwegfahren können. Ein Gesprächspartner sagt:

«Er hat verbrannte Erde hinterlassen, auch in der Geschäftsleitung.»

Er zeigt, wo es durchgeht: Bauleiter Anton Gäumann (Bild von 2008).

In der Geschäftsleitung sei man zwar zusammengesessen, aber entschieden habe Gäumann. «Wenn jemand nicht seiner Meinung war, interessierte ihn das reichlich wenig. Und wenn das mehrmals vorkam, war die Person irgendwann weg», so eine Quelle. Mehr als die Hälfte der neunköpfigen Geschäftsleitung wechselte unter Gäumann. In vier Jahren.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – Spuren, die das Militär hinterliess

Noch eines lernt er im Militär: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Gäumann habe sich von seinem Vorgänger, Beat Zahnd, vor allem dadurch unterschieden, dass Ersterer zwar auch ambitionierte Ziele gesetzt habe, den Mitarbeitenden den Weg aber viel offener liess, sie in die Verantwortung nahm. Gäumann dagegen wollte überall mitreden, fast jeder Entscheid ging über seinen Tisch. Man sprach bei der Migros von Regionalfürsten, Gäumann war ein Regionalgeneral.

Anton Gäumann hatte durchaus auch eine spitzbübische Seite. Allerdings liess er sich nicht gerne lachend ablichten. 

Ein durchaus umgänglicher. Der ehemalige Migros-Aare-Boss konnte auch charmant sein. Aber in gewissen Situationen, da schlüpfte er in seine General-Rolle. Fotos, auf denen er lachte, waren ihm suspekt. Dass er Ferien machte, durfte niemand wissen und wo schon gar nicht. Ein Gäumann macht keine Ferien, der geht vorneweg, unermüdlich. «Ich bin überzeugt, dass Toni im Kern ein guter Mensch ist. Aber oft hatte er vermutlich das Gefühl, er müsse jetzt autoritär oder hart sein», sagt jemand, der ihn gut kennt.

Viele Dinge habe er nur mündlich besprochen. Er wollte keine schriftlichen Beweise, munkelte man. Geschriebenes wäre nicht wahnsinnig verträglich gewesen mit seiner teils impulsiven Art. Einer, der die Migros Aare gut kennt, sagt:

«Wie er eine gewisse Arbeit beurteilte, war selten von der Qualität der Arbeit abhängig, aber sehr oft von seiner Laune.»

Zugleich hat er es mit seiner hemdsärmeligen Art zu beachtlicher Beliebtheit an der Front gebracht. «In den Filialen war Toni zum Teil sehr geschätzt», sagt eine Quelle. Im Operativen, dem Konkreten sei er stark gewesen, strategisch weniger. Das Gewürzsortiment konnte er gut mit einem einfachen Angestellten diskutieren. Er könne sich richtiggehend in Details verlieren.

Anton Gäumann zusammen mit seinem Vorgänger an der Spitze der Migros Aare, Beat Zahnd. Das Bild entstand 2007 auf einem Biobauernhof in Diessbach. 

Zwischen 2016 und 2020, so die Zahlen aus den entsprechenden Geschäftsberichten, ist der Umsatz quasi auf 3,4 Milliarden Franken stagniert. Derweil sank der Ebit von über 90 Millionen unter Vorgänger Zahnd auf knapp 30 Millionen vor der Pandemie und zuletzt im Coronajahr 2020 gar auf minus 14 Millionen. Ein ähnliches Bild bei den Investitionen, sie gingen von über 400 Millionen (2016) auf unter 200 Millionen Franken (2020) zurück.

Gäumann, der Förderer des Digitalen, der sich E-Mails ausdrucken liess

Immer wieder wird Gäumann als Förderer des Digitalen gelobt. So hat er zum Beispiel mit mymigros.ch ein Konkurrenzprodukt zum Migros-Onlineshop lanciert, das deutlich benutzerfreundlicher, schneller und den Bedürfnissen der Kunden entsprechend funktioniert als die Onlineplattform des nationalen Migros-Genossenschaftsbundes (MGB). Damit hat er sich beim zentralen Migros-Apparat nicht viele Freunde gemacht, torpedierte er doch eine der Einnahmequellen des MGB.

Anton Gäumann mit Star-Architekt Daniel Libeskind bei der Eröffnung des Westside. (Bild von 2008)

So gar nicht in das Bild des digitalen Machers passt da, dass sich Gäumann oft auch E-Mails ausdrucken liess. Auch wegen der Verbindlichkeit des Schriftlichen zog er es dann vor, telefonisch weiterzumachen. Computer und Smartphones waren nicht sein Ding. Dafür wuchs sein Stab im Vergleich zu Vorgänger Zahnd beträchtlich. Während Letzterer genau eine Assistentin hatte, waren für Gäumann oft mehrere im Einsatz. Bis zu vier sollen es gewesen sein.

Seine Frau hat eine auf IT-Fragen spezialisierte Anwaltskanzlei

Die Aufträge an seine Frau, die als Anwältin arbeitet und auf IT-Recht spezialisiert ist, waren kein Geheimnis. Nicht in der Geschäftsleitung. Das war auch nicht das Problem, sondern dass er mögliche Interessenkonflikte, die in Zusammenhang mit seiner Ehefrau entstanden sind, nicht in jedem einzelnen Fall meldete, wie Migros-Aare-Sprecherin Andrea Bauer gegenüber dieser Zeitung sagte. Ausserdem sei Gäumann bei der Freigabe von Rechnungen nicht immer reglementskonform vorgegangen.

Was genau vorgefallen ist, erfährt man nicht. Auch nicht aus dem näheren Umfeld. Es sei eine «klare rote Karte» gewesen, sagt einer. Genauer will er nicht werden. Im Hintergrund sollen ausgemachte Profis die Krisenkommunikation für die Migros Aare orchestriert haben.

Andere sagen übereinstimmend, sie könnten sich nicht vorstellen, dass sich Gäumann mit seinem Fehlverhalten, das ihn nun zu Fall gebracht hat, hätte bereichern wollen. «So war er nicht. Er hat für die Migros Aare und seine eigene Selbstdarstellung gelebt. Es war ihm wichtig, dem Unternehmen seinen Stempel aufzudrücken. Dafür hat er 35 Jahre lang geschuftet.»