Die Zahl der Neuansteckungen explodiert im Kanton Solothurn: So ist die Situation in den Spitälern
Zürich, Bern, Aargau: Gleich in mehreren Kantonen haben die Spitäler in den vergangenen Tagen Alarm geschlagen. Zu viele Covid-Patienten, die Intensivstationen sind voll, es drohen Triagen.
Keine Hilferufe gaben die Spitäler im Kanton Solothurn von sich. Dabei sind die Intensivstationen auf den ersten Blick auch hier fast voll. Zwischen zwei und fünf Betten waren in den vergangenen Wochen noch frei, vier waren es am Freitag. Und die Neuansteckungen legen diese Woche Negativrekorde hin: 270 neue Fälle wurden am Freitag gemeldet. Das sind über 50 mehr als zum Höhepunkt der zweiten Welle im Dezember 2020.
Auf den zweiten Blick ist es aber komplizierter. Denn die Hospitalisierungszahlen sind zwar steigend. Aber die Situation ist noch nicht annähernd so schlimm wie im Dezember 2020. Zu Spitzenzeiten waren damals 90 Personen wegen Covid im Spital, um die 15 auf den Intensivstationen. Aktuell sind knapp 30 hospitalisiert, und um die fünf brauchen Intensivpflege.
Lesebeispiel: Am 4. Dezember 2020 waren 90 Personen wegen Covid hospitalisiert: 76 auf der Normalstation, 14 brauchten Intensivbetreuung.
Ausserdem bedeuten fast volle Intensivstationen nicht, dass keine Notfälle mehr behandelt werden können. Die Solothurner Spitäler AG soH schreibt:
«Notfallmässige und dringliche operative Eingriffe können wir weiterhin vornehmen. Dies war in allen Phasen der Pandemie möglich.»
17 zertifizierte Betten auf den Intensivpflegestationen im Kanton Solothurn gibt es. Die müssen reichen, um schlimme Notfälle, Patienten nach schweren Operationen oder Patienten mit besonders schweren Covid-Verläufen unterzubringen. Das heisst nicht anderes als: Umso mehr Covid-Patienten einen IPS-Platz brauchen, desto mehr Operationen werden verschoben, um Platz zu schaffen.
Im Dezember 2020 wurden praktisch sämtliche Wahleingriffe abgesagt. Auch wurde Personal anderer Abteilungen und sogar von Privatkliniken zugezogen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Beides ist im Moment nicht nötig. Aktuell werde situativ entschieden, welche Eingriffe verschoben werden müssen. Flächendeckend passiert es noch nicht.
Und selbst wenn alle Wahleingriffe verschoben sein sollten, und das noch immer nicht ausreicht, hat die soH Handlungsspielraum. Dann würden vorübergehend weitere Pflegeplätze auf den Intensivstationen geschaffen werden. Natürlich nur so viele, wie Personal vorhanden ist, um die Patienten zu pflegen.
90 Prozent der IPS-Patienten sind ungeimpft
Dann ist die Situation im Kanton Solothurn im Moment also nur halb so schlimm? Leider auch nicht. Denn auf den dritten Blick ist es nochmals komplizierter.
Zwar stimme es schon, so die soH: In anderen Kantonen seien die Infektionszahlen zuletzt stärker angestiegen als in Solothurn. Und da die Hospitalisierungen jeweils dem Anstieg der Neuansteckungen hinterherhinken, liesse sich so auch erklären, dass andere Spitäler bisher härter getroffen wurden. Nur: Was die nächsten Wochen bringen, ist offen.
Kommt dazu: Das grösste Problem ist die aktuelle Personalsituation. Die soH schreibt: «Die aktuelle Situation ist sehr belastend.» Selbst wenn die Belastung noch geringer sei als in anderen Kantonen. Die Gesundheitsfachleute sind nach bald zwei Jahren Pandemie am Anschlag. Es blieb keine Zeit zum Erholen, auch Nicht-Covid-Patienten mit schweren Erkrankungen wurden und werden behandelt.
Viele Gesundheitsfachleute sind ausgestiegen, manche fallen krankheitshalber oder schlicht wegen Überlastung aus. Und neues Personal zu finden, ist nicht einfach, da sämtliche Spitäler ähnliche Probleme haben.
Abhängig von der Verfügbarkeit freier Betten
Inwieweit nun für weitere Betten auf den Intensivstationen, sollten sie nötig werden, überhaupt das Personal vorhanden ist, ist nicht wirklich klar. Die soH: «Wo die absolute Obergrenze der Anzahl Covid-19-Patienten, welche wir behandeln können, ist, lässt sich nicht sagen. Es ist abhängig von der Verfügbarkeit freier Betten, dem medizinischen Zustand der Patienten und gerade auch vom Personal.»
Besonders bitter fürs Gesundheitspersonal: Die Situation wäre mit einer höheren Impfquote vermeidbar gewesen. Gemäss soH sind 90 Prozent der Covid-Patientinnen und -Patienten auf den Intensivstationen ungeimpft.