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Seilziehen um Milliarden-Deal: Streit zwischen Ärzten und Spitälern geht in die Endphase

Seilziehen um Milliarden-Deal: Streit zwischen Ärzten und Spitälern geht in die Endphase

Fast 13 Milliarden Franken werden im Gesundheitswesen neu verteilt. Die Akteure streiten sich darum, wer das bessere System entwickelt hat. Dabei bräuchte es wohl beide. Doch die Fronten sind verhärtet, eine Lösung nicht in Sichtweite. Jetzt mussten die Branchenvertreter vor dem Bundesrat antraben. 

Anna Wanner

Die Fronten zwischen Ärzteschaft und Spitälern sind verhärtet.

Das Jahr neigt sich dem Ende, die Nervosität unter Akteuren des Gesundheitswesens steigt. Es steht ein Entscheid des Bundesrates an, der viele direkt und nachhaltig trifft: Der Lohn von Ärztinnen steht zur Disposition, die Einnahmen der Spitäler verändern sich. Nur die Versicherten sollten keine höheren Prämien zahlen müssen. Das ist die Bedingung des Bundesrats, die er an die Einsetzung eines neuen ambulanten Tarifs knüpft. Er darf keine übermässigen Kosten verursachen.

Unbestritten ist in der Branche, dass der aktuelle Tarif Tarmed abgelöst werden soll. Dieser hinkt seit Jahren den Entwicklungen hinterher. Der Streit dreht sich also um die Frage: Was kommt danach? Zwei Projekte stehen in der Pipeline und warten auf den Segen des Bundesrats. Die Ungeduld wächst.

Es geht um viel: Fast 13 Milliarden Franken werden neu verteilt – und das Gerangel um das bessere System wird immer härter.

Auf der einen Seite stehen die Ärzteschaft (FMH) und der Krankenkassenverband Curafutura. Sie haben vor mehr als zwei Jahren einen neuen ambulanten Tarif Tardoc ausgearbeitet, haben um jede Position gerungen und gemeinsame Lösungen gefunden. Dreimal sind die Tarifpartner den Wünschen des Bundesrats gefolgt und haben Dinge geändert. Jetzt seien die Wünsche erfüllt, der Tardoc zur Umsetzung bereit. Es fehlt nur die Zusage des Bundesrats.

Vorteil Pauschale und das Warten auf den Bundesrat

Doch dieser wartet ab. Denn auf der anderen Seite stehen die Spitäler (H+), die Chirurgen (FMCH) und der andere Krankenkassenverband Santésuisse. Sie wollen die über 4000 Einzelleistungen abschaffen, die bereits beim veralteten Tarmed zu Transparenz- und Abrechnungsproblemen führten. Also haben sie auf der Basis von 450’000 Datensätzen aus den Spitälern ambulante Pauschalen entwickelt, analog zu den DRG-Fallpauschalen im stationären Bereich.

Pauschalen bieten Anreize für kostensparende Behandlungen, weil dem Arzt mehr Geld bleibt, wenn er effizient arbeitet. Auch kann er nicht wie beim Einzelleistungstarif mehr verdienen, indem er – unabhängig von Sinn und Zweck – mehr macht. Und: Die gleiche Leistung kostet überall gleich viel. Das Parlament hat auch aus diesen Gründen im Sommer entschieden: Pauschalen haben Vorrang.

Doch es ist eben auch nicht immer so einfach, wie angepriesen. Unterschiedliche Patienten haben unterschiedliche Bedürfnisse. Und nicht jede Leistung lässt sich in eine Pauschale pressen – auch darüber besteht eigentlich Konsens.

Der Weg wäre vorgespurt: Parallele Einführung beider Systeme

Idealerweise würden die Systeme kombiniert und parallel eingeführt. Pauschalen dort einsetzen, wo sie funktionieren und Sinn ergeben. Einzelleistungen für alles andere. Doch trotz entsprechender Bestrebungen seitens des Bundesrats sind die Tarifpartner weit von einer gemeinsamen Lösung entfernt.

Das liegt zunächst an praktischen Voraussetzungen, dem unterschiedlichen Reifegrad der Tarife: Während der Tardoc seit Jahren einer Umsetzung harrt, nahm die Entwicklung der ambulanten Pauschalen erst diesen Sommer Fahrt auf. Zwar hat Santésuisse zusammen mit den Chirurgen (FMCH) bereits vor fünf Jahren erste Pauschalen entwickelt. Der Bundesrat bemängelte zuletzt deren ungenügende Datengrundlage: Die Berechnungen seien normativ begründet und ungenau. Diese Pauschalen kamen nie zum Fliegen. Nun haben die Tarifspezialisten in den letzten Monaten eine Parforce-Leistung hingelegt und gemäss eigenen Angaben für 70 Prozent der Leistungen in ambulanten Spitalbereich Pauschalen berechnet.

Streit unter den Chirurgen: Nicht alle sind mit dem Resultat zufrieden

Bloss: Akzeptiert werden die Pauschalen nicht überall. Der Unmut bei gewissen chirurgischen Fachgesellschaften ist gross: Die technischen Berechnungen stützen sich nicht auf Erfahrungswerte aus der freien Praxis, weil es dort kaum Daten gibt. Die Spitäler lieferten die Grundlagen. Und diese stimmen nicht immer mit der medizinischen Erfahrung überein. Oder aber: Die Pauschalen führen zu finanziellen Einbussen.

Auch die knappe Bedenkzeit führt zu Unmut. Die zweiwöchige Vernehmlassung hat ihren Grund: Am 31.12. müssen die Pauschalen beim Bundesrat eingereicht werden. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um Änderungswünsche einfliessen zu lassen. Da das System auf realen Kosten- und Leistungsdaten fusst, werden Änderungen nur akzeptiert, wenn sich das Anliegen über Daten belegen lässt.

Pauschale ist fast dreimal teurer als der Tarif

Dazu kommt ein weiterer Grund: Das System steckt noch in den Kinderschuhen, nicht alle Pauschalen sind plausibel. So könnte es bei deren Einführung zu einem Kostenschub kommen. Als Beispiel dafür dient eine konkrete Leistung: Ultraschall bei einer Schwangerschaftsuntersuchung. Die Pauschale kostet die Krankenversicherer 460 Franken (Kostengewicht 1.0 x kalkulatorische Baserate 460). Eine Schwangerschaftsuntersuchung samt Ultraschall, Konsultation und Bericht würde gemäss neuem Tardoc 169 Franken kosten (bei mittlerem Taxpunktwert). Beide Preise liegen zwar noch im Ungefähren, weil sowohl Taxpunktwert als auch Baserate noch nicht verhandelt sind. Der Preisunterschied lässt sich indes nicht so leicht erklären.

Bekannt ist, dass die Spitäler ihre Kosten im ambulanten Bereich nicht decken können. Hplus-Präsidentin Isabelle Moret sagte im Juni gegenüber dieser Zeitung: «Wir haben eine Unterdeckung von rund 30 Prozent.» Ob der Tardoc diese Lücke schliessen könne, wisse sie nicht. «Mit den Pauschalen lässt sich die Unterdeckung in Spitalambulatorien aufheben.» Die Forderung ist legitim, die Leistungen sollen fair abgegolten werden. Nur verlangt der Bundesrat eine kostenneutrale Umsetzung. Das bedeutet wiederum: Ärzte in der freien Praxis müssen finanzielle Einbussen gewärtigen.

Die Zeit tickt laut, die Fronten sind hart

Verlustängste sind nicht der alleinige Grund, wieso eine gemeinsame Branchenlösung, eine parallele Einführung der Tarife unmöglich ist: Die Fronten zwischen den beiden Seiten haben sich verhärtet. Sie weigern sich, die Tarife gemeinsam weiterzuentwickeln. Sie weigern sich gar, Informationen nach den vom Bundesrat auferlegten Spielregeln auszutauschen.

Am Mittwoch mussten die Verbandsspitzen vor dem Bundesrat antraben. Ob das Treffen Früchte trägt? Die Konstellation ist schwierig: Der Feinschliff der ambulanten Pauschalen braucht wohl noch seine Zeit. Hingegen verlieren die Entwickler des Tardocs langsam die Geduld: Wartet der Bundesrat mit der Umsetzung weiter zu, ist der Tarif am Tag seiner Einführung bereits wieder veraltet.