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Die Millionen der Kastanienallee: Wie dieses Bild zum teuersten Kunstwerk Solothurns wurde

Die «Kastanienallee bei Biberist» wurde 2012 beim Auktionshaus Christie’s für 5,4 Millionen Franken versteigert. Das Gemälde ist eng verknüpft mit einem interessanten Kapitel der Solothurner Wirtschaftsgeschichte.

5,4 Millionen Franken! Selbst Fachleute mit einem sicheren Gespür für die Launen und Stimmungen des Kunstmarkts hatten nicht damit gerechnet, dass ein Bieter eine solche Summe aufbringen würde; so viel Geld für ein Mittelformat von Ferdinand Hodler. Im Herbst 2012 ging die «Kastanienallee bei Biberist» an einen, wie es das Auktionshaus Christie’s gewohnt diskret formulierte, «Privatkäufer aus Europa».

Es war das teuerste Auktionslos eines einheimischen Künstlers in der damaligen Saison. Ein weiterer Hodler schaffte es damit auf die Liste der kostspieligsten Versteigerungen von Kunstwerken aus der Schweiz. Und: Die Biberister «Kastanienallee» wurde zum teuersten Sujet Solothurns.

Kein anderes Kunstwerk mit Bezug zum Kanton dürfte zu einem solch hohen Preis den Besitzer gewechselt haben, wie Auswertungen zeigen; vorbehaltlich anderer Arten der Wertbemessung und allfälliger Galerieverkäufe, über die üblicherweise keine Preisdetails veröffentlicht werden.

Nur wenige Künstler des Landes sind so bekannt wie Ferdinand Hodler (1853–1918). Schon zu Lebzeiten zählte er zu den grossen Meistern, genannt in einem Atemzug mit Cézanne und van Gogh. Heute erzielen seine Landschaftsbilder regelmässig Millionenpreise, grosse Museen schätzen ihn ebenso wie private Sammler.

Diese Serie geht Superlativen aus dem Kanton Solothurn auf den Grund. Sie erzählt von Errungenschaften, die einfach unschlagbar sind: von Höchstleistungen, deren Strahlkraft weit über die Region hinaus reicht. Von bahnbrechenden Erfindungen, die anfangs klein und unbedeutend schienen, bald aber das Leben vieler Leute geprägt haben. Von weissen Flecken auf der Landkarte, von verblüffenden Kuriositäten und beeindruckenden Rekorden. Aber auch von Persönlichkeiten mit aussergewöhnlichen Fähigkeiten. (sva)

Die «Kastanienallee», 38 mal 55 Zentimeter gross, malte Hodler 1898 nach einem seiner Aufenthalte in Biberist. Noch im selben Jahr schenkte er das Ölgemälde seinem Freund, dem ortsansässigen Industriellen und Kunstliebhaber Oscar Miller (1862–1934). Eine Widmung auf dem Werk erinnert an die enge Beziehung von Maler und Mäzen.

Das Werk war lange unbekannt

In den Vordergrund setzte Hodler sechs eher jüngere, schon fast symmetrisch angeordnete Kastanienbäume. Dahinter spannt sich eine weite Landschaft aus, die Jurabergkette schimmert blau, die Wolkenformationen sind horizontal geschichtet. Fraglos eine «subtile Naturbeobachtung», wie der Kunstkritiker Tilo Richter in der «Frankfurter Allgemeinen» feststellte.

Ferdinand Hodler (1853–1918) gilt als einer der ganz Grossen der Schweizer Kunst. Hier sitzt er im Jahr 1903 in seinem Genfer Atelier vor dem Monumentalwerk «Der Tag».

Was wir über das Werk gesichert wissen, verdanken wir akribischen Forschern. Bis in die 2000er-Jahre war die Existenz der «Kastanienallee» nicht öffentlich bekannt. Seit Hodlers Schenkung – und bis zur Versteigerung im Jahr 2012 – blieb sie ununterbrochen im Besitz von Millers Familie.

Erst dank einer Skizze, die sich auf einer Karteikarte des Hodler-Biografen Carl Albert Loosli befand, konnten Experten des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft das Werk identifizieren. «Das bisher unbekannte Gemälde gehört zur wichtigen Gruppe der Arbeiten, die um das Thema der Symmetrie kreisen», stellten die Kunsthistoriker begeistert fest.

Schillernde Figur im Solothurnischen

Die «Kastanienallee» spannt einen Bogen zu einem interessanten Kapitel der Solothurner Wirtschaftsgeschichte – zur Papierherstellung, die einst ein wichtiger Industriezweig in der Region war. Über viele Jahre war Oscar Miller, von Haus aus diplomierter Chemiker, eine prägende Figur im Solothurnischen. Von seinem Vater hatte er die Leitung der Papierfabrik Biberist übernommen. Die «Papieri», wie sie landläufig genannt wurde und wird, gehörte zu den grössten Arbeitgebern im Kanton. Aus ihr ging der zeitweise stärkste Papierkonzern des Landes hervor.

Die Familie von Oscar Miller dominierte während Jahrzehnten die Papierfabrik Biberist. Der traditionsreiche Betrieb wurde 2011 nach 149 Jahren endgültig geschlossen.

Neben seiner Geschäftstätigkeit sass der freisinnig-feinsinnige Miller im Kantonsrat und in mehreren Verwaltungsräten. In Erinnerung geblieben ist er jedoch vorrangig als Sammler, Mäzen und Donator zeitgenössischer Kunst. Er förderte die Kunstmuseen von Solothurn und Bern. Nebst Werken von Hodler zählten auch solche von Cuno Amiet, Giovanni Giacometti oder Otto Modersohn zu seiner Sammlung. Dass Hodler und Amiet, der grosse Solothurner, sich anfreundeten, ging ebenfalls auf die Vermittlung Millers zurück. 1897 lernten sich die beiden Meister in Biberist kennen.

In wessen Besitz sich die «Kastanienallee bei Biberist» nun befindet, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Das Gemälde wurde an kein Museum verliehen, in keiner Ausstellung gezeigt. Immerhin erinnert in Biberist die Hodlerstrasse an den Maler, und wer eine beachtliche Werkgruppe von Ferdinand Hodler betrachten will, muss nur das nahe Kunstmuseum Solothurn besuchen.

Im vergangenen Jahrzehnt erlebte er auf dem Kunstmarkt «ein glorioses Comeback», wie die «NZZ am Sonntag» einmal feststellte: Cuno Amiet ist jener Künstler aus dem Kanton Solothurn, der die höchsten Preise erzielt. Der 1961 im Alter von 93 Jahren verstorbene Maler, der seiner Heimatregion zeitlebens eng verbunden war, zählt wie Ferdinand Hodler zu den bedeutenden Schweizer Vertretern der Moderne.

Auch wenn man Amiets Schaffen nach rein monetären Aspekten betrachtet, nimmt er im Kanton eine Sonderrolle ein. Er, der noch im hohen Alter vor seiner Staffelei stand, soll über 4000 Gemälde gemalt haben. Amiets Preispalette auf dem Kunstmarkt ist breit. Während seine Druckgrafiken mitunter schon für tiefe vierstellige Summen zu bekommen sind, kletterten einige Werke in Auktionen über die Millionengrenze.

Erst diesen Herbst war es in der Berner Galerie Kornfeld wieder so weit: Bei einer – auf 500 000 Franken geschätzten – Winterlandschaft aus dem Jahr 1903 fiel der Hammer erst bei 1,4 Millionen Franken. Eine andere Winterlandschaft von 1908 löste 2011 in Bern sogar 1,65 Millionen Franken – Amiets Spitzenlos bei einer Auktion. Für das Gemälde «Winter auf der Oschwand», ebenfalls von 1908, und den «Blumengarten» von 1936 zahlten Sammler jeweils 1,2 Millionen Franken.

Preisdatenbanken verzeichnen über ein Dutzend weitere Amiets, die bei Auktionen mehr als 500 000 Franken gelöst haben. Im restlichen sechsstelligen Bereich platzieren sich rund 70 Werke von Cuno Amiet. (sva)