
Wo ich bin, ist vorne
Als ich ihren schnittigen Schlitten an einem Samstagnachmittag auf den letzten beiden freien Parkplätzen vor dem Bio-Laden stehen sah, in den ich zufällig auch wollte, setzte ich mich in den Schatten der Kirche, zündete ein Zigarette an und wartete auf Sie. Nach 10 Minuten rauchte ich noch eine und nach 20 Minuten verlor ich die Geduld. Nun, auch ohne Sie gesehen zu haben bin ich mir ziemlich sicher, dass Sie ein Mann sind. Natürlich kenne auch ich all die doofen Witze über Frauen, die nicht einparken können. Wer aber Ihren Jaguar exakt in der Mitte zweier Parkfelder eine Weile betrachtet, der realisiert, dass es sich hier nicht um fehlendes Können, sondern eindeutig um fehlenden Willen handelt, korrekt zu parkieren. Der Mensch, der da parkiert hat – also Sie, lieber Jaguar-Fahrer – verkörpert einige typisch männliche Attribute: Ein ausgeprägtes Ego, eine ausgewachsene Arroganz und genug Geld, das man in ein Prestigeobjekt investiert. Eine ideale Kombination, die allerdings bis vor wenigen Jahren in der Schweiz noch nicht so richtig mehrheitsfähig war. Sie erinnern sich vielleicht, dass es Zeiten gab, in denen Understatement und Rücksicht den Schweizern als Tugenden galten. Dank Ihnen und Ihren Gesinnungsgenossen (ich hätte natürlich auch die Parkierkünste anderer Egomanen hier zeigen können, Ihre Zunft vermehrt sich ja rasend schnell in den letzten Jahren) bereite ich mich innerlich langsam auf russische Verhältnisse vor: Da haben die Reichen in den fetten Limousinen mittlerweile eine eigene Fahrspur!
Ich bin sicher, Sie würden mir eine Menge Gründe aufzählen, warum Sie an diesem Samstag Ihren Wagen so und nicht anders parkiert haben. «Ich bin ein fauler, arroganter Sack» wäre sicherlich nicht unter diesen Gründen. Sehen Sie, ich halte mich auch längst nicht an alle Regeln, an die man sich halten könnte. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich allerdings begriffen, dass es vielerlei Regeln gibt, von denen aber lediglich eine Sorte von Bedeutung ist: Regeln, die das friedliche Koexistieren der Menschen untereinander garantieren. Wenn jemand wie Sie sich die Freiheit nimmt, die letzten beiden leeren Parkfelder für sich allein zu beanspruchen, so werde ich das in Zukunft als Zeichen dafür ansehen, dass jemand keinerlei Interesse an einem friedlichen Koexistieren mit seinen Mitmenschen hegt. Präziser gesagt: ich werde es als Kriegserklärung auffassen!
Selbstverständlich will ich Ihnen nicht drohen, aber vielleicht ist es erhellend für Sie zu wissen, dass mein Renault Mégane Kombi 3500 Franken gekostet hat, dass ich überhaupt keinen Wert auf das Äussere des Wagens lege (Kratzer und Beulen inklusive) und dass ich leider Gottes ein wenig zum Jähzorn neige, wenn ich in Situationen wie die eben geschilderte gerate. Aber eben: es wäre ja wirklich schade um Ihren schönen Jaguar.
Der «Fähnlifrässer» ist eine seit 2004 regelmässig auf regiolive.ch erscheinende Kolumne.